Die UEL hatte an der Tripartite vom vergangenen Montag nichts auszusetzen. Die drei Gewerkschaften bezeichneten sie als Nullnummer. Gemessen am überheblichen Auftreten der Regierung ihnen gegenüber ist das ein Euphemismus

Vorführung

d'Lëtzebuerger Land vom 17.12.2021

Fortsetzung Am Montag um 14 Uhr trafen sich die Sozialpartner und die Regierung im Anfang der 1990-er Jahre gebauten Konferenzzentrum auf dem Gelände von Schloss Senningen in der Speckgürtel-
Gemeinde Niederanven. Es war die zweite Zusammenkunft des Comité de coordination tripartite seit Beginn der Coronakrise und erst die dritte seit 2010. Die Gewerkschaften hatten seit den letzten, für sie eher ernüchternden Dreiergesprächen im Juli 2020 auf eine Fortsetzung gedrängt und waren mit hohen Erwartungen in die lang ersehnte Verhandlung gegangen. Der OGBL hatte Anfang Oktober seine große Kampagne Grad elo gestartet, in der er unter anderem eine Erhöhung der Kaufkraft, einen Kurswechsel in der Wohnungspolitik und mehr Steuergerechtigkeit forderte. Die CGFP wollte vor allem darüber reden, wer für die Krise bezahlen soll. Die UEL, die eine Tripartite zum jetzigen Zeitpunkt nicht für nötig erachtete, hatte sich im Vorfeld der Gespräche mit Forderungen diskret zurückgehalten.

Dementsprechend waren auch die personellen Kräfteverhältnisse am Verhandlungstisch verteilt. Während die drei Gewerkschaften mit jeweils zwei Vertreter/innen und dem Direktor der Salariatskammer gekommen waren, hatte UEL-Präsident Michel Reckinger nur seinen Direktor und einen Wirtschaftsberater mitgebracht. Die Regierung war durch Premierminister Xavier Bettel (DP), seine beiden Vizepremiers Dan Kersch (LSAP) und François Bausch (Grüne) sowie die Minister Franz Fayot (LSAP), Lex Delles, Pierre Gramegna und Claude Meisch (alle DP) vertreten. OGBL-Präsidentin Nora Back war die einzige Frau in der Runde.

Traditionell wird die im Vorfeld festgelegte Dauer der Tripartite-Verhandlungen weit überschritten. In der Vergangenheit warteten die Journalist/innen manchmal stundenlang im Presseraum. Am Ende traten Regierung und Sozialpartner geschlossen vor die Mikrophone und verkündeten den in zähen Verhandlungen ausgehandelten Kompromiss. In diesem Jahr war das anders. Die Tripartite ging fast pünktlich zu Ende, Gewerkschaften und UEL verließen danach sofort das Gelände. Bettel, Kersch und Delles traten alleine vor die Presse.

Garten Der Regierung sei es lediglich darum gegangen, „de Point ze maachen, wéi d’Laag och ass“, sagte der Premierminister, der sich über den „laange, ganz ganz laangen“, 40 bis 50 Punkte umfassenden Forderungskatalog der Gewerkschaften beklagte. „Wunnéngsbau, Studenteboursen, Steieren, Spideeler, Santé, Maternité“, von allem sei etwas dabei gewesen: „quer durch den Garten“, meinte Bettel. Sich mit all diesen Themen in einer Tripar-tite auseinanderzusetzen, hatte die Regierung augenscheinlich weder die Lust, noch hatte sie sich darauf vorbereitet.

Die Tripartite an sich hatte eher den Charakter einer Konferenz als den einer Verhandlungsrunde. Die Sozialpartner durften aufmerksam zuhören, als die Minister zum wiederholten Mal ihre Verdienste in der Pandemie ausführlich anhand einer Power-Point-Präsentation vorstellten: die budgetäre Lage, die Wirtschaftshilfen und die Kurzarbeit, die sozialen Maßnahmen, die sie zur Stärkung der Kaufkraft unternommen hatten. Anhand eines Liniendiagramms veranschaulichte Wirtschaftsminister Franz Fayot ohne weitergehende Erklärung, wie die Kaufkraft in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen sei (Pierre Gramegna benutzte das gleiche Diagramm am Mittwoch in seiner Haushaltsrede). Damit war eigentlich alles gesagt. Rückfragen waren nicht erlaubt.

Die Sozialpartner hatten anschließend jeweils 15 Minuten Zeit, um ihre Wünsche vorzutragen. Insbesondere die Gewerkschaften wurden dabei wiederholt vom Premierminister unterbrochen, der ihnen in seiner gewohnt anmaßenden, doch gleichzeitig spitzbübischen und nonchalanten Art mit einschüchternden Zwischenrufen wie „wat mengt der, wat dat kascht“ oder „dat gëtt ze deier“ gleich zu verstehen gab, dass ihre Forderungen nicht erwünscht seien und das Kriseninstrument Tripartite nicht der richtige Ort sei, um über Steuertabellen, Wohnungsnotstand, steigende Energiepreise, Klimagerechtigkeit und Privatisierung des Gesundheitssystems zu reden. Von Dingen wie kalter Progression, der Aufnahme der CO2-Steuer in den Indexwarenkorb, neuen Steuergesetzen im Wohnungsbau, Senkung der Akzisen oder kommerziellen Arztgesellschaften hatte Bettel keine Ahnung, Gramegna zieht sich in wenigen Wochen aus der Politik zurück, die für die anderen Themen zuständigen Ressortminister/innen Carole (Dieschbourg), Henri (Kox) Claude (Turmes) und Paulette (Lenert) waren gar nicht erst nach Senningen gekommen.

Diversifizierung Seit Einführung des Einheitsstatuts 2008 hat sich der Sozialdialog immer weiter diversifiziert. Neben Conseil économique et social (CES), Comité de conjoncture, Comité permanent du travail et de l’emploi (CPTE), Stahltripartite und Quadripartite sind die Sozialpartner auch in den Führungsgremien der Pensions- und Gesundheitskasse und im Conseil national de la productivité vertreten. In manchen dieser Gremien konnten tatsächlich Fort-schritte erzielt werden. So wurde im ersten aller Tripartite-Gremien, dem CES, kürzlich eine Übereinkunft zur gesetzlichen Regelung der Telearbeit und des Rechts auf Abschalten gefunden. Im Comité de conjoncture wurde die Kurzarbeit beschlossen und in sektoriellen Verhandlungen konnten Massenentlassungen bei Arcelor-Mittal, Guardian und Luxair verhindert werden. Anders sieht es im CPTE aus, der sich laut Gesetz mindestens drei Mal im Jahr treffen soll, vor zwei Wochen aber zum ersten Mal in diesem Jahr von Arbeitsminister Kersch einberufen wurde.

Ähnlich dem Rentendësch (zumindest dem Namen nach) haben DP, LSAP und Grüne in den vergangenen Jahren sogenannte „Tische“ eingeführt, wo mit den Sozialpartnern und weiteren betroffenen Akteuren aus der Zivilgesellschaft in einem erweiterten Kreis über ressortspezifische Themen diskutiert werden soll. Die Regierung sei dem Sozialdialog nicht abgeneigt, aber er solle an den Orten stattfinden, die dafür vorgesehen sind, meinte Bettel am Montag und nannte als Beispiele „Zukunftsdësch, Klimadësch, Logementsdësch etc etc“. Bisher existieren jedoch lediglich der Klimadësch-Landwirtschaft und der von Bettel nicht einmal erwähnte Gesondheetsdësch, die beide 2020 zum ersten Mal einberufen wurden. Über den Zukunftsdësch wird seit fast 20 Jahren geredet, getroffen hat er sich nie. Und ein Logementsdësch taucht bislang lediglich als Forder-ung in einem Leserbrief des LSAP-Nachwuchspolitikers Max Leners auf und ist laut Minister Kox bislang auch nicht geplant.

Entsprechend dürftig waren dann auch die Beschlüsse, die die Regierung am Montag zurückbehielt. Das Recht auf Kurzarbeit und die finanziellen Hilfen für Betriebe aus vulnerablen Sektoren werden wegen wieder steigender Infektionszahlen und der 2G-Regelung für Freizeitaktivitäten um zwei Monate verlängert. Diese Maßnahmen haben beide Sozialpartner begrüßt. Die anderen Beschlüsse gehen vor allem auf Forderungen der UEL zurück. So können Betriebe künftig Flüchtlinge einstellen, ohne dass die Adem erst prüfen muss, ob die Stelle nicht mit einem Luxemburger oder einem EU-Einwanderer besetzt werden kann. Die Familienzusammenführung wurde für Flüchtlinge zwar nicht vereinfacht, dafür aber für HNWI aus Drittstaaten: die Partner/innen von „Talenten“ mit festem Arbeitsvertrag im Finanz- oder IT-Sektor erhalten künftig automatisch eine Blue-Card. Ferner kündigte der Premierminister Finanzhilfen an, um die Betriebe bei der digitalen und grünen Transition zu unterstützen. UEL-Direktor Jean-Paul Olinger zeigte sich am Dienstag gegenüber dem Land zufrieden über den Verlauf und den Ausgang der Tripartite, die er in der Kontinuität von der vom Juli 2020 sah. Die Pandemie sei noch nicht beendet, jetzt sei nicht die Zeit, um Geschenke zu verteilen, sagte Olinger.

Zahlensalat Die drei national repräsentativen Gewerkschaften bezeichneten die Tripartite hingegen in einer gemeinsamen Mitteilung als Nullnummer. Ihre Hauptforderung nach Maßnahmen zur Erhöhung der Kaufkraft wies die Regierung mit dem Argument zurück, sie habe in den vergangenen drei Jahren hohe Investitionen in den Sozialstaat getätigt. Bettel meinte, Fayot und Gramegna verfügten diesbezüglich über andere Zahlen als OGBL, LCGB und CGFP. Der Noch-Finanzminister versuchte die Wirksamkeit von Maßnahmen wie gratis öffentlicher Transport, kostenlose Schulbücher und Kinderbetreuung, Steuerkredit oder Erhöhung der Teuerungszulage und des Mindestlohns in seiner letzten Budget-Rede am Mittwoch damit zu belegen, dass der Gini-Koeffizient im vergangenen Jahr zurückgegangen sei (von 0,312 in 2019 auf 0,306 in 2020). Das Statec hatte das in seinem Mitte Oktober veröffentlichten Rapport travail et cohésion sociale berechnet. In seinem Bericht wies das Statistikamt aber auch darauf hin, dass es wegen der sanitären Maßnahmen bei der Datenerhebung eingeschränkt war und sich deshalb auf andere Zahlen als in den Vorjahren stützen musste, weshalb die Ergebnisse von 2020 nicht direkt mit denen von 2019 vergleichbar seien. Deshalb könne es auch keine zuverlässigen Aussagen über die Entwicklung der Einkommensungleichheiten während der Pandemie machen. Vor diesem Hintergrund scheint es doch sehr unwahrscheinlich, dass die seit Jahren insbesondere durch die immer schneller steigenden Wohnungspreise verursachte stetige Zunahme der sozialen Ungleichheiten ausgerechnet in einer sanitären und wirtschaftlichen Krise gebrochen worden sein soll. Nicht zuletzt liegt das Armutsrisiko in Luxemburg mit 17,4 Prozent weiterhin über dem EU-Durchschnitt (17,1) und deutlich über dem der Nachbarländer Belgien (14,1) und Frankreich (13,8).

Noch während Gramegna am Mittwoch seine Ansprache in der Kammer hielt, veröffentlichte die Salariatskammer in einer Newsletter eine OECD-Studie, aus der hervorgeht, dass Luxemburg 2019 lediglich 21,6 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Sozialausgaben bereitstellte. Damit liegt es weit hinter seinen Nachbarländern Frankreich (31 Prozent), Belgien (28,9) und Deutschland (25,9) und nur leicht über dem OECD-Durchschnitt (20). Es waren diese Zahlen, auf die sich die Gewerkschaften bei ihrer Forderung nach mehr Kaufkraft beriefen.

Es sollte also nicht verwundern, dass sie nun das Gefühl haben, die Regierung nehme sie nicht ernst und die Tripartite vom Montag sei nichts weiter als eine Inszenierung und ein Alibi-Event gewesen, um die Arbeitnehmerschaft vorzuführen. Um die Gewerkschaften endgültig zu demütigen, griff der sozialistische Noch-Vize-Premier Dan Kersch auf der Pressekonferenz am Montag auf ein Strohmann-Argument zurück, das Bettel stolz aufgriff. Der Premier habe gleich zu Beginn der Tripartite ein klares Bekenntnis zum Index-System gemacht, um denen, die daran „fréckele wëllen“, zu zeigen, dass das mit dieser Regierung nicht machbar sei, meinte Kersch. Das habe die Gewerkschaften sofort beruhigt, beschwichtigte Bettel. Dabei hatte das Patronat diesmal weder im Vorfeld der Tripartite noch während der Verhandlungen den Index in Frage gestellt, wie sowohl die UEL als auch die Gewerkschaften dem Land auf Nachfrage bestätigten. Tatsächlich war es ein wohl ob seines nahenden Karriereendes ungewohnt forscher Gramegna, der am Mittwoch den Index erneut ins Spiel brachte, als er in seiner Budgetansprache die Präsidentin der Europäischen Zentralbank, Christine Lagarde, zitierte, die regelmäßig darauf hinweise, dass die automatische Lohnanpassung ein „richtiges Problem“ darstelle.

Perle Dank eines florierenden und coronaresistenten Banken- und Finanzplatzes seien „unsere“ Staatsfinanzen „die besten in ganz Europa“, lobte Gramegna am Mittwoch sich selbst. Als einziges Land in der Eurozone halte die „Perle auf dem Planeten“ die Regeln des Stabilitätspakts schon in diesem Jahr wieder ein, das öffentliche Defizit sei das niedrigste im ganzen Währungsgebiet. Einen berechtigten Grund, den Index zu manipulieren, gibt es also derzeit keineswegs. Knapp zwei Jahre vor den Wahlen wäre das politischer Selbstmord. Das wissen auch die DP und Gramegnas designierte Nachfolgerin Yuriko Backes.

Den OGBL und den LCGB muss die DP nicht fürchten, das wurde in dieser Woche deutlich. Zu viele ihrer Mitglieder sind nicht wahlberechtigt, die restlichen wählen eh traditionell LSAP oder CSV. Ein weiteres Problem ist, dass die Gewerkschaften zurzeit in ihren Möglichkeiten begrenzt sind. Demon-strationen und Proteste sind schwer durchzuführen, zu groß ist die Gefahr, dass sie von der sogenannten Schwurblerszene vereinnahmt werden, von der OGBL und LCGB sich ausdrücklich distanzieren.

Die CGFP ist freilich in einer etwas besseren Lage. Ihr Streit mit DP-Minister Marc Hansen über die Interpretation des Gehälterabkommens im öffentlichen Dienst ist noch nicht beigelegt. Noch-CGFP-Präsident Romain Wolff hatte bereits im Rahmen der Conférence des Comités der Staatsbeamtengewerkschaft vor einer Woche seine rund 28 000 Mitglieder gefragt, wen sie denn wählen würden, wenn am Sonntag Parlamentswahlen wären. Er selbst wisse es nicht, sagte Wolff, und mahnte die Politiker/innen aller Parteien, sich die „richtigen Fragen“ zu stellen. Bis Juli 2022 haben sie dazu Zeit. Dann, nur rund ein Jahr vor den nächsten Wahlen, soll die nächste Tripartite stattfinden.

Luc Laboulle
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