Kampf gegen Zwangsehen

Alibi oder echte Hilfe?

d'Lëtzebuerger Land du 31.07.2008

Dass die französischen Revolutionäre, als sie von „paternité“ und „droits de l’homme et du citoyen“ sprachen, nicht gerade die Frauenrechte im Sinn hatte, hatten kluge Zeitgenossinnen schon damals erkannt. Mehr als hundert Jahre später enthält der Vorläufer des luxemburgischen Zivilgesetzes, der französische Code napoléon, noch immer allerlei frauendiskriminierende Bestimmungen. Etwa die Ungleichbehandlung beim Heiratsalter, wonach Frauen mit 16, Männer aber erst mit 18 Jahren heiraten dürfen.

Geht es nach der CSV-LSAP-Regierung soll dieses Relikt der Vergangenheit bald endgültig verschwinden. Ein entsprechender Gesetzentwurf wurde am vergangenen Freitag vom Regierungsrat angenommen. „Das war überfällig“, freut sich Maddy Mulheims aus dem Chancengleichheitsministerium gegenüber dem Land. Damit rücke Luxemburg zu den anderen europäischen Ländern auf, die das Heiratsalter für Frauen dem der Männer angepasst haben.

Schon in der Menschenrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1948, zu deren Unterzeichnerstaaten auch Luxemburg gehört, hieß es in punkto Mann und Frau: „Ils ont des droits égaux au regard du mariage.“ Die Empfehlungen der UN-Menschenrechtskommission zum Heiratsalter von 1965 hatte Luxemburg nicht unterschrieben. Nichtsdestotrotz erhöhte das Großherzogtum im Jahr 1992 das Heiratsalter der Frauen auf 16 Jahre, aus Jugendschutzgründen. Den Vereinten Nationen ging das nicht weit genug; seit dem ersten Cedaw-Bericht von 1997 wird Luxemburg regelmäßig aufgefordert, diese Form der Frauendiskriminierung zu beenden. 

Nun gibt es auf oberster Ebene grünes Licht. Und nicht nur dafür: Unter der Überschrift „Kampf gegen die Zwangsheirat“ stimmte die schwarz-rote Koalition Plänen zu, die Aufhebung einer durch widerrechtlichen Zwang zustande gekommenen Ehe von derzeit sechs Monate auf fünf Jahre zu verlängern. Die verlängerte Frist soll genötigten, traumatisierten Frauen und Männern helfen, die emotional oftmals nicht in der Lage sind, sogleich die Aufhebung ihrer Ehe zu betreiben. Bereits im September soll die Vorlage in der zuständigen Parlamentskommission besprochen werden, ein parteienübergreifender Konsens scheint sicher. Wer will schon Opfern von Unterdrückung und Zwang die Hilfe verwehren?

Doch so wichtig und richtig der Kampf gegen Zwangsehen ist: Skepsis an den hehren Motiven ist schon deshalb angebracht, weil dieselbe Regierung sich mit Anti-Diskriminierungsmaßnahmen sonst stets schwer tut. Die Verankerung des Gleichheitsprinzips in die Verfassung konnte erst vor zwei Jahren, nach zähem Ringen, durchgesetzt werden. Ein höheres Heiratsalter und verlängerte Annullierungsfristen schaffen Zwangsehen zudem nicht aus der Welt, sie erschweren sie bestenfalls. Weil der Nachweis einer Zwangsehe schwierig ist, gibt es diesbezüglich kaum Studien. In Luxem­burg liegen nicht einmal Schätzungen vor. Weder die zuständigen Ministerien, noch die Polizei haben Zahlen. Einer unbestätigten Meldung zufolge soll vor zwei Jahren ein Mädchen aus Ex-Jugoslawien ins hauptstädtische Meederchershaus geflohen sein, weil ihre Eltern sie gegen ihren Willen verheiraten wollten. Nach Zureden durch die Betreuerinnen sahen die Eltern vom Vorhaben ab, das Mädchen kehrte wieder nach Hause zurück. 

Stutzig an der Umtriebigkeit der Regierung macht auch, dass im selben Atemzug von Zwangsheirat verstärkt die Rede von mariages blancs ist – als hätten Zwangsheirat und Scheinehe zwangsläufig miteinander zu tun. Man habe Altersunterschiede festgestellt, „die wehtun“, so Malou Faber vom Ausländerdienst des Immigra-tionsministerium. Ob es sich dabei um Schein- oder Zwangsehen handelt, könne man nicht sagen.

Als in Frankreich, ebenfalls nach jahrzehntelanger Untätigkeit, unter Innenminister Nicolas Sarkozy 2005 das Heiratsalter für Frauen von 15 auf 18 Jahre heraufgesetzt wurde, begründete die rechtskonservative UMP ihre Initiative damit, man wolle verstärkt gegen Zwangsheirat und Heiratstourismus vorgehen. Dasselbe Amalgam aus Zwangsheirat, illegaler Immigration und Familiennachzug machen deutsche Politiker im Zuge des neuen Zuwanderungsgesetzes. Nachdem es für sein restriktives Gesetz an Kritik nur so hagelte, zückte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble die Frauenkarte. Angeblich um Zwangsheirat zu verhindern, sprach sich der CDU-Politiker für ein erhöhtes Nachzugsalter von 21 Jahren für verheiratete Frauen aus. Einreisende Lebenspartner sollten künftig Deutschkenntnisse vorweisen können. Ausgenommen blieben Ehepartner aus Ländern wie den USA, Australien oder Japan. 

Migrantenorganisationen kritisierten den Vorschlag zu Recht als diskriminierend. Ihre Forderung, ein vom Ehepartner unabhängiges Aufenthaltsrecht würde es Betroffenen erleichtern, sich in Ruhe aus einer Zwangsverbindung zu lösen, ohne gleich Angst vor der Abschiebung haben zu müssen, fand indes kein Gehör. Zuwanderung erscheine mehr und mehr „wie eine kriminelle Handlung“, die mit „Zwang, Gewalt und Unterdrückung anderer zusammenhänge“, geradezu zu Missbrauch einlade, warnte der Verband binationaler Partnerschaften angesichts solcher Hypokrisie. Vermeintlich logische Kon­sequenz: Einwanderung, erst recht über Eheschließung oder Familienzusammenführung, am besten ganz unterbinden. 

Ein ähnlicher Trend bahnt sich hier zu Lande unter schwarz-roter Federführung an. Nachdem der Gesetzgeber es jahrelang versäumt hat, das, wohlgemerkt, Recht auf Familiennachzug zu regeln, und deswegen Klage von der EU-Kommission drohte, hat das Parlament vor wenigen Wochen das Zuwanderungsgesetz verabschiedet. Im selben Zusammenhang allerdings bekräftigte die Regierung ihren Willen, verstärkt gegen Scheinehen vorzugehen, obwohl auch dazu belastbares Zahlenmaterial fehlt. Jetzt folgt als nächster Schritt der Kampf gegen die Zwangsheirat – bis zum Generalverdacht gegen alle, die unverheiratet und mit unsicherem Aufenthaltsstatus oder als junge Braut oder Bräutigam, nach Luxemburg einreisen wollen, ist es da nicht mehr weit. Eine bedenkliche Entwicklung, die so ganz sicher nicht im Sinne der Menschenrechte ist.  

Ines Kurschat
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