Bankgeheimnis

Bulldozer? Minibagger? Egal.

d'Lëtzebuerger Land du 08.05.2008

Mit dem Bulldozer wird Steuerkommissar László Kovács am Mittwoch über das Fundament des Luxemburger Finanzplatzes, das Bankgeheimnis, donnern. Zumindest wenn man denen Leuten Glauben schenken kann, die den Bericht, den Kovács den EU-Finanzministern bei ihrem Treffen in Brüssel vorlegen wird, bereits gesehen haben. 

Den Prüfungsbericht über die Anwendung der Zinsbesteuerungsrichtlinie hatten dieselben Minister vom Kommissar für ihr Mai-Treffen gefordert, obwohl er erst Ende 2008 vorliegen müsste. (d’Land, 29.02.2008 und 07.03.2008) Die Liechtenstein-Affäre bot die ideale Kulisse, den Druck auf die EU-Länder zu erhöhen, die beim Datenaustausch in Steuersachen bisher nicht mitmachen – Luxemburg, Belgien und Österreich –, und die im Gegenzug eine Quellensteuer auf Zinserträge von Privatpersonen erheben. Weil auch der Kommissar ein bekennender Befürworter des Datenaustausches ist,  erklärte er sich bereit, seinen Bericht und Vorschläge darüber, wie die Direktive verbessert werden könnte, vor Abgabetermin vorzulegen.

Die, die schon einen Blick darauf werfen konnten, bevor das Dokument nächste Woche öffentlich wird, stellen aber fest: Darüber, wie gut oder wie schlecht die jeweiligen Systeme funktionieren, wird kaum ein Wort verloren. Hierfür könnte es zweierlei Ursachen geben. Entweder spielt die Ideologie ein Rolle und der Kommissar will, wie ihn die hiesigen Hüter des Bankgeheimnisses verdächtigen, schnurstracks in Richtung automatischer Datenaustausch gehen – und deshalb ist es ihm egal, ob die Quellensteuer Geld in die Kassen der Mitgliedstaaten spült oder nicht. Oder aber es liegt daran, dass sich einerseits Länder wie Luxem­burg zieren, mitzuteilen, welchem Fiskus sie wie viel überwiesen haben und es anderseits schwierig, sehr schwierig sein dürfte, auszuwerten, welche Mehreinnahmen die anderen Länder durch den Datenaustausch haben. Eine Anfrage des Land beim deutschen Finanzministerium blieb auf jeden Fall ergebnislos. Können die Beamten den automatischen Datenstrom überhaupt verwerten? Vor wenigen Wochen erst kündigte die irische Regierung den Erwerb neuer Software für den Fiskus an. Damit wird auch sie derartige Daten verwerten können; die Direktive ist bald drei Jahre in Kraft.

Der Bericht sei eine rein juristische Analyse, die auf Schlupflöcher hinweise. Für aufmerksame Beobacheter ist dies ein weiteres Indiz dafür, dass die Anti-Bankgeheimnis-Ideologie die Verfasser des Schriftstücks, das in Brüssel bereits zirkuliert, antreibt. Einen anderen wichtigen Aspekt, den der Zusammenarbeit mit den Drittstaaten, klammere er hingegen explizit aus, ist zu hören. Damit passiert genau das, was man im Freundeskreis der Quellensteuer befürchtet hatte: Der Kommissar macht Änderungsvorschläge ohne Auswertung. Diese sei zu diesem Zeitpunkt nicht möglich, zitieren Insider den Text. Deswegen sei dieser, so die Verfasser angeblich selbst, ein Interimsbericht, die endgültige Fassung werde erst im Herbst vorgelegt.

Immer wieder werde im Bericht der vorläufige Charakter der Quellensteuerregelung hervorgehoben, so Beobachter. Für sie ist es ein weiterer Beleg für die Entschlossenheit des Kommissars. Eines der grundsätzlichen Probleme, auf das der Bericht hinweise, sagen die gleichen Kenner, sei der Zeitdruck unter dem die Revision der Direktive durchgeführt werden soll. Bis 2011 müssen Luxemburg, Österreich und Belgien den Quellensteuersatz auf 35 Prozent anheben. Die anderen Mitgliedstaaten können durchaus darunter bleiben. Damit drohen erheblichen Marktverzerrungen, wegen der ungleichen steuerlichen Behandlung identischer Produkte. Das Hervorheben dieser Problematik – eine Geste der Kommission an die Quellensteuer-Staaten? Wohl eher ein Einsehen, dass die ganze Direktive droht illegal zu werden, wenn sie diesen Ländern einen höheren Steuersatz auf den gleichen Produkten aufzwingt als den anderen, raunt man im Hintergrund. 

Konkret befasse sich der Bericht mit drei Hauptproblematiken: der Definition des beneficial owner, dem eigentlichen Nutznießer der ausgeschütteten Zinsen, die es zu besteuern gilt, der Definition des Zahlungsagenten und der zu besteuernden Finanzprodukte. Wie weit und in welche Richtung soll die Direktive ausgebaut werden? Weil nach aktuellem Stand der Dinge nur Privatpersonen eine Quellensteuer entrichten müssen, kann diese relativ leicht durch die Zwischenschaltung einer juristischen Person, einer Firma umgangen werden. Deshalb werde im Bericht eine Ausweitung der Steuerpflicht auf alle Rechtspersonen in Erwägung gezogen, aber als nicht praktikabel wieder verworfen. Die gleichen Zinsen drohten auf dem Weg zum eigentlichen Nutznießer mehrmals be­steuert zu werden, oder aber der Fiskus müsse die Masse der Informationen entwirren, erklären Insider. Keine guten Aus­sichten. Das sehe auch die Kommission ein und deswegen schlägt sie folgenden Lösungsansatz vor: Ähnlich wie es bereits die Anti-Geldwäsche-Bestimmungen vorsehen, könnten die Zahlungsagenten dazu gezwungen werden, ei­ne Durchsichtprüfung zu vollziehen, also die endgültigen Empfänger so weit wie möglich zu identfizieren. 

Weil auch dies noch einen erheblichen Aufwand darstellt, könne man diese Maßnahme vorerst auf Gesellschaften mit Sitz außerhalb der EU reduzieren, wenn einer der Endempfänger als EU-Bürger identifiziert ist. Ein Kinnhaken für alle Finanzzentren außerhalb der Europäischen Union. Allerdings ist auch dies nicht unproblematisch: Österreich praktiziert die Quellensteuer pur und unverdünnt. Dort kann, anders als hier, kein Kunde sich für den freiwilligen Datenaustausch mit dem heimischen Fiskus entscheiden. Da bahnen sich also Probleme mit den Nichtdoppelbeteuerungsabkommen an, die vor allem die Besteuerung von Firmen betreffen. Weil auch dort die Quellensteuer-Staaten den unbegrenzten Datenaustausch verweigern, wäre eine solche Durchsichtprüfung mit diesen bilateralen Verträgen nicht kompatibel und deshalb unwirksam.Außerdem möchte Kovács die große Heckenschere einsetzen, um das Dickicht von Stiftungen, Trusts und anderen Konstrukten zu trimmen, hinter dem sich Steuerflüchtige verstecken. Kenner sagen, er werde eine kontinuierlich aktualisierte Liste der juristischen Personentypen vorschlagen, welche die Mitgliedstaaten bereits als paying agent on receipt anerkennen. Den Verbleibenden sollen die gleichen Verpflichtungen auferlegt werden. So könnte dann auch zwischen tatsächlichen und vorgeblich karitativen Einrichtungen entschieden werden. Die Banken wären in dem Fall fein raus. Sie würden einfach die Zinserträge an solche Kontoinhaber weiterleiten und müssten sich weiter nicht mehr mit Problematik auseinandersetzen. Das wär dann deren Aufgabe.

Was die der Steuer zu unterwerfen­den Produktpalette betrifft, wolle die Kommission Quellen zufolge auf die Substance-over-form-Maxime der OECD zurückgreifen. Das würde heißen, die gleiche Art von Erträgen muss gleich besteuert werden, egal aus welchem Finanzinstrument sie stammen; Zinsen bleiben Zinsen. Ein einfacher Verweis auf den Leitspruch in der Direktive wird aber nicht ausreichen. Wer die rechtliche Ungewissheit auf ein Minimum reduzieren möchte, muss genauer beschreiben, welche Produkte er meint. Deswegen, sagen Kenner, schlage der Kommissar auch  eine Art dynamische Positiv-Liste von zinsbesteuerten Produkten vor, um der Entwicklung des Marktes zu folgen. Ein weiterer Ansporn für Finanzingenieure, neue steuerfreie Instrumente zu entwickeln?

Dass nur solche Investmentfonds mit europäischem Vertriebspass (Ucits) der Zinsbeteuerung unterliegen und andere nicht, erschien vielen Mitgliedstaaten beim letzten Ecofin-Treffen unlogisch, so dass die Kommission, will sie die Nicht-Ucits einschließen, auf wenig Widerstand stoßen würde. Außer aus Luxemburg würde es doch die Spezialfonds weniger attraktiv machen und das Geschäft mit solchen Kunden vermiesen, die den freien Kapitalverkehr nutzen, um ihr Geld hierher zu bringen und es in Nicht-Ucits anzulegen. Höchstens Irland könnte Luxemburg in diesem Punkt als Verbündeter dienen, die Chancen stehen also nicht besonders gut. Dies obwohl der treue Diener der hiesigen Fondsbranche, sprich der europäische Fondsverband, sich auf jeden Fall gegen eine Einbindung der Nicht-Ucits ausgesprochen hat, falls nicht die sehr in Mode gekommenen, maßgeschneiderten Lebensversicherungspolicen miteinbezogen werden. Wer würde sonst noch einen Fonds kaufen, wenn eine steuerfreie Lebensversicherung zu haben ist, die auch in Fonds investiert. So werde die Kommission den Rat eher um Orientierung bitten, ob die Investmentfonds und ähnliche Instrumente für die Anwendung der Direktive neu definiert werden sollten, sagt man in  Insiderkreisen. Und ob die Zinssteuerdirektive der richtige Ort sei, um die Besteuerung von Dividenden, Kapitalerträgen und Auszahlungen von Lebens-  und Rentenversicherungsverträgen in Angriff zu nehmen. Dabei schließe Kovács das Erheben der Quellensteuer, um der Steuerflucht auf dieser Art von Einkommen entgegenzuwirken, als inadäquat aus, so die Beobachter. 

Der Kommissar macht demnach kein Geheimnis aus seiner Abneigung gegen die Quellensteuer. Obwohl er das auch nicht muss, denn schließlich wird diese im Text der Direktive von 2003 als Übergangsregime beschrieben, bis auch die Schweiz, Liechtenstein, San Marino, Monaco, Andorra und die USA dem Informationsaustausch nach OECD-Modell zustimmen. Theoretisch – und darauf hatte Luxemburg ja auch spekuliert – kann diese Situation also unendlich anhalten. Man könnte also auch sagen, der  Kommissar sei gar nicht mit dem ideologischen Bulldozer unterwegs, sondern schaufele mit dem Minibagger weiter in die Richtung, welche die EU schon vor Jahren festlegt hat.

Daran, dass Andorra, Liechtenstein und Monaco immer noch nicht mitmachen, wird der Luxemburger Finanzminister Jean-Claude Juncker seine Kollegen wohl am Mittwoch erinnern und darauf hinweisen, dass keine Auswertung vorliegt, die zeigt, welches System besser den Zweck erfüllt. Immerhin vertrauen über die Hälfte der Mitgliedstaaten en interne darauf, dass die Banken eine Art Quellensteuer erheben. Vielleicht wird er einigen dieser Vorschläge positiv gesinnt sein, weil sie unabhängig davon sind, welches System eingesetzt wird und weil er Verhandlungsbereitschaft zeigen will.

Nur fragt sich, wie lange sich die Quel­lensteuer-Länder in ihrer gegenseitigen Geiselhaft halten können. Ein Bericht, den das französische Finanzministerium nach der Liechtenstein-Affäre erstellt hat, lässt erahnen, dass es nicht mehr lange andauern kann. Die Franzosen übernehmen in der zwei­ten Jahreshälfte die Ratspräsidentschaft und werden voranpreschen wollen. Marschrichtung: „envisager un terme rapide au régime dérogatoire dont bénéficient aujourd’hui l’Autriche, la Belgique et le Luxembourg, afin de poursuivre efficacement les négociations avec les grand centres financiers hors UE (Hong-Kong, Singapour).“ Das klingt gar nicht danach, als ob die Franzosen geduldig abwarten wollten, bis auch die drei letzten europäischen Steuerparadiese den Datenaustausch, OECD-Art, anwenden. Sondern eher so, als wollten sie die Bedingungen fürs Über­­gangsregime neu schreiben. Ob Bulldozer oder Minibagger, egal. Es wird viel Staub aufgewirbelt werden.

Michèle Sinner
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