Kandidaten wegen Covid

d'Lëtzebuerger Land du 15.09.2023

Zu den Wahlen am 8. Oktober kandidieren neun Ärzt/innen – so viele wie noch nie. 2018 waren es sechs. Doch wenngleich der Medizinerberuf in der Gesellschaft hohes Ansehen genießt und es deshalb logisch erscheint, dass die Parteien Ärzt/innen aufbieten, gelingt ihnen der Einzug ins Parlament nicht oft. 2018 hätte der Escher Chirurg Martin Kox Grünen-Abgeordneter werden können, er verzichtete jedoch zugunsten seines Bruders Henri aus dem Ostbezirk. Der Ulflinger Allgemeinmediziner Edy Mertens verfehlte das Mandat, das er von 2013 bis 2018 für die DP innehatte, knapp. So dass der austretenden Kammer kein einziger Arzt angehört. Die starke Präsenz von Mediziner/innen dieses Jahr auf den Listen der vier großen Parteien dürfte auf die gestiegene Bedeutung der Gesundheitspolitik zurückzuführen sein: Für CSV, LSAP und Grüne kandidieren je zwei, für die DP drei. Bei drei Ärzten dürfte das Kalkül ihrer Parteien obendrein damit zu tun haben, dass die Kandidaten während der Corona-Pandemie bekannnter oder regelrecht populär wurden. Für welche politischen Ziele sie einstehen, davon soll hier die Rede sein.

Romain Nati (LSAP)

„Nicht nur Santé”

Wenn die Gesundheitsministerin derselben Partei angehört, obendrein Spitzenkandidatin ist und Ambitionen auf den Premier-Posten haben muss, dann fragt sich weshalb der Generaldirektor des CHL kandidiert. Will er Gesundheitsminister werden, falls sich das so ergibt, und gibt es dafür Planspiele mit Paulette Lenert?

„So etwas ist mir nicht bekannt“, antwortet Romain Nati würdevoll und politisch routiniert. Natürlich wird am 8. Oktober das Parlament gewählt, Überlegungen zu Regierungsposten schon breitzutreten, sähe nicht gut aus. Romain Nati will nicht einmal die Gesundheitspolitik als den Bereich nach vorne stellen, in dem er sich vor allem agieren sieht: Sein Ziel sei es, Abgeordneter zu werden, in der LSAP-Fraktion „in einem Team zu arbeiten, ohne zu sagen, mein Spielfeld ist ganz konkret dieses oder jenes“.

Dabei ist er einer der ausgewiesensten Systemkenner, die die LSAP hat, vielleicht sogar der beste. Die Corona-Pandemie verhalf ihm zu einem Popularitätsschub, das sagt er selber, und dass die Partei ihn „ohne Covid“ vielleicht nicht gefragt hätte, zu kandidieren. 2004 war er schon einmal angetreten, damals wurde er auf der Zentrumsliste Vorletzter. 2011 kandidierte er bei den Kommunalwahlen für die LSAP seiner Heimatgemeinde Bartringen. Sein Resultat war das Zweitbeste auf der LSAP-Liste, allerdings nur knapp halb so gut wie das des Erstgewählten. Arzt und Krankenhausdirektor zu sein – damals war Nati Directeur medical des CHL – bringt nicht automatisch viele Wählerstimmen.

Mittlerweile hat sein Bekanntheitsgrad zugenommen, eine ganze Reihe Wähler/innen könnten mit ihm (CHL-Generaldirektor seit 2012) eine politische Idee verbinden. Anfang März 2020 hatte er auf Twitter geschrieben: „Mir sinn am Krich!“ Angesichts der Bilder aus Bergamo und Colmar, und weil am CHL mit der Ethikkommission schon Pläne für einen Triage aufgestellt worden waren, welche Pa-
tienten ein Intensivbett bekommen sollten und welche nicht. An den anderen Krankenhäusern gab es das auch. Zurückgegriffen werden musste darauf nicht, der Lockdown senkte die Fälle.

Wenn Nati während der Corona-Seuche in den Medien war, erklärte er oft, wie wichtig ein „resi-lientes öffentliches Gesundheitssystem“ sei. Dass Luxemburg zum Glück über ein solches verfüge, und dass die Pandemie gezeigt habe, dass leistungsfähige Krankenhäuser nötig sind. Wenn er heute darauf zu sprechen kommt, verbindet er das öffentliche System mit einem „starken Staat“: Wolle man die Gesundheitsversorgung außerhalb der Krankenhäuser ausbauen, müsse man diesen Bereich regulieren. „Das hat nichts mit sozialistischer Planwirtschaft zu tun“, erklärt er, es sei einfach ein „Rahmen“ nötig. Da sei für den secteur extrahospitalier „noch Arbeit zu leisten“. Ob er so streng reguliert werden müsse wie die Kliniken, da sei er sich „nicht sicher“. Auf jeden Fall müssten beide Bereiche „flächendeckend miteinander verzahnt“ werden.

Das sind ziemlich abstrakte Worte. Sie stehen schon im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung. Vorzuweisen hat die LSAP am Ende der Legislaturperiode so gut wie nichts – nur Paulette Lenerts improvisiertes Spitalantennen-Gesetz. Nati nimmt die Parteikollegin in Schutz: Kaum war sie Anfang Februar 2020 ins Amt gekommen, brach Covid aus. Was freilich nichts an den Tatsachen ändert und an der Defensive, in der nun die Partei steckt, die zwei Jahrzehnte hintereinander im Gesundheits- und Sozialversicherungsressort das Sagen hatte.

Vielleicht ist das auch ein Grund, wieso Nati Wert auf die Feststellung legt, dass seine politischen Kompetenzen breit seien und es ihm nicht nur um die „Santé“ gehe. Nicht um sich zu drücken, sondern aus taktischen Gründen: Kommt die LSAP wieder in die Regierung, wird sie Kompromisse machen müssen. Da kann es sinnvoll sein, nicht schon im Wahlkampf anzudeuten, wo es schwer wird, sich durchzusetzen. In ihrem Wahlprogramm hat die LSAP zum Beispiel Dinge stehen wie ein „einheitliches und attraktives Statut“ für die Klinikmediziner/innen. Damit seien ihre Arbeitsbedingungen gemeint, aber letztlich könne man das als Salariatsmedizin verstehen, sagt Nati. In Luxemburg, wo das Gros der Klinikärzte Freiberufler ist, ist das eine kühne Idee. Er selber habe das Kapitel „Santé“ im Programm nicht geschrieben, er sei auch nicht der „Chefredakteur“ gewesen. Es handle sich um eine Kollektivleistung. Wahrscheinlich aber versteht der CHL-Generaldirektor mit der LSAP-Parteikarte besonders gut, dass in der hohen Konzentration der Versorgung auf die Spitäler auch der Versuch steckt, die Gesundheitskosten insgesamt zu kontrollieren. Was die Öffnung des secteur extrahopitalier womöglich extra kosten würde, darüber hat noch niemand sich öffentlich verbreitet.

Doch in den Vordergrund stellen will Nati die Gesundheit ja nicht. Chancengleichheit sei auch ein wichtiges Thema, oder die Bildung. Nati nennt sich selber ein Beispiel für sozialen Aufstieg: vom Arbeiterkind (der Vater Elektriker, die Mutter Verkäuferin) zum Arzt und zum Klinikchef. Ein politischer Mensch war er offenbar schon als Jugendlicher: Trat mit 16 der Jeunesse socialiste bei, mit 18 der Mutterpartei. Sammelte Unterschriften gegen das Atomkraftwerk Cattenom und gegen die Apartheid in Südafrika. War Präsident der linken Studentenvereinigung Unel und der nationalen Jugendkonferenz. 1995 von seiner Ausbildung und seiner Arbeit im Ausland zurückgekehrt, wurde er 2004 Mitglied der LSAP-Parteileitung. Als die LSAP nach den Wahlen 2004 wieder in die Regierung einzog und Nicolas Schmit Minister wurde, nominiert die LSAP Nati für den Staatsrat. Er gehörte ihm bis Oktober 2019 an, zuletzt als Vizepräsident.

Nach dem Ausscheiden habe er sich gefragt: Wie politisch weiter? Dann kam Covid. Jetzt kommt ihm das Timing zupass, falls er gewählt wird: Im März würde er als CHL-Generaldirektor ohnehin seinen Abschied nehmen und in Pension gehen. Gedanken, ob es zu schaffen ist, Direktor und Abgeordneter zugleich zu sein, muss er sich nicht machen. Und wenn man ihn streuen hört, er habe in seinen 15 Jahren im Staatsrat auch juristische Kompetenzen gesammelt und sei dort der Präsident der Kommission für Nachhaltige Entwicklung und Infrastrukturen gewesen, klingt das auch ein wenig so, als empfehle er sich mit seinen vielen Talenten, man weiß ja nie, für mehrere Ministerposten..

Jean-Claude Schmit (LSAP)

„Now or never!”

Gerüchte, dass es den Direktor des Gesundheitsamts in die Politik ziehe, und zwar an der Seite der Gesundheitsministerin, deren „rechte Hand“ er sei und damit in der LSAP, waren schon vor fast einem Jahr zirkuliert. Wie Jean-Claude Schmit das selber darstellt, habe nicht die LSAP ihn rekrutiert, sondern umgekehrt: „Auch wenn manche mich ansprachen, die Motivation ging von mir aus.“ Es sei ein wenig so gewesen wie sein Wechsel vom Luxembourg Institute of Health (LIH), dessen CEO er bis Ende 2015 war, an die Spitze der Direction de la Santé: „Niemand wollte mich am LIH weghaben. Aus der Direction de la Santé will mich ebenfalls niemand weghaben. Ich hatte damals Lust, etwas Neues auszuprobieren, und heute auch. Ich bin jetzt 61 und habe mir gesagt: Now or never!“

Die mit einem Anflug jungenhaften Übermuts vorgetragene Lebensplanungs-Episode ist durchaus bemerkenswert. Schmit ist nicht irgendein Beamter, sondern der oberste Wächter über die öffentliche Gesundheit im Land, mit Ermittlungsbefugnis eines Offiziers der Kriminalpolizei. Möchte so ein Entscheidungsträger in der Abgeordnetenkammer Platz nehmen? Er schließe natürlich „nicht aus“, Minister zu werden, entgegnet Schmit. Doch das sei „im Moment viel zu spekulativ“. Außerdem sei er ganz neu in der Partei, „da gäbe es bestimmt noch andere“. Dass ihm aufgefallen sei, dass ein Beamter, und sei es der Chef des Gesundheitsamts, Minister-Entscheidungen vorbereitet, am Ende aber der Minister oder die Ministerin die Entscheidung trifft, nennt Jean-Claude Schmit aber als Grund, weshalb er kandidiert. Also doch mit dem Ministerposten vor Augen. Irgendwie. Und bei der LSAP, das sei „evident“ gewesen, „ich habe bei keiner anderen Partei angeklopft“. Was ja einleuchtet, wenn die Gesundheitsministerin der LSAP angehört.

Würde er in die Kammer gewählt, und nähme er das Mandat an, müsste er sein Amt als Directeur de la Santé aufgeben. Die Suche nach der Nachfolge werde dann wahrscheinlich schwierig, schätzt er. In der öffentlichen Gesundheits spezialisierte Ärzt/innen gebe es nicht viele, das Fach sei nicht Teil jeder medizinischen Ausbildung. Abgesehen davon sei die Rekrutierung von Ärzt/innen für den Staatsdienst generell schwierig. Unter anderem wegen der Gehälter. Schmit schätzt, draußen verdiene ein Arzt gut und gerne 5 000 bis 6 000 Euro mehr als der Directeur de la Santé.

Schmit wurde in der Covid-Pandemie bekannt. Etwa ein Mal im Monat saß er bei RTL und beantwortete Zuhörerfragen. Im Livestream sah man ihn ebenfalls. Was zur Folge hatte, dass Leute ihn auch im Alltag ansprachen. „Anfangs fragten die meisten mich etwas, aggressiv wurde selten jemand.“ Mit der Zeit sei die Agressivität in den sozialen Medien häufiger geworden. „Manche Impfgegner feinden mich noch heute an.“ Insgesamt sei Luxemburg „eher gut“ durch die Pandemie gekommen: „Die statistische Übersterblichkeit war bei uns vergleichsweise niedrig gegenüber anderen Ländern, die Schulen gingen früher wieder auf, die Wirtschaft kam schneller wieder hoch.“ Natürlich sei das auch ein Vorzug des kleinen Landes mit kurzen Wegen. Nicht wie in Belgien oder Deutschland mit föderalen unsd regionalen Strukturen und „Schichten von Entscheidern“.

Eine regelrechte Politisierung habe er keine erfahren. Am CHL arbeitete er zwanzig Jahre am Service na-
tional für Infektionskrankheiten. War spezialisiert auf HIV, baute am Centre de recherche public – Santé, dem Vorläufer des LIH, ein Forschungslabor für Retrovirologie auf. „Ich hatte mich für HIV-Medizin entschieden, als die Epidemie Mitte der Achtzigerjahre ausbrach. Ich fand das sozial besonders wichtig. Ich entschied mich auch ganz bewusst für eine Arbeit am CHL und verband damit eine bestimmte Art von Medizin: Behandeln, Ausbilden, Forschen.“

In die Wahlen auf der Zentrumsliste der LSAP gehe er mit dem Versprechen, sich einzusetzen für ein „gut organisiertes Gesundheitssystem, die Spitäler, die ambulante Versorgung, der liberale Sektor“. Es werde Reorganisationen geben müssen. Die Medizin entwickle sich schnell die Besiedelung über Land auch, so dass die Frage von Nähe sich stelle, von Ärztehäusern, sowohl von Allgemeinmedizinern als auch „plurisdisziplinär“. Es dürfe keine Gegensätze geben zwischen Spitälern, sondern Vernetzung. Die Frage, wie die Kliniken sich spezialisieren können, stelle sich auch. Langsam kämen die seit dem Spitalgesetz von 2018 geplanten „Kompetenznetzwerke“ in Gang. Drei seien „mehr oder weniger am Laufen“, eines für die Behandlung rheumatischer Erkrankungen, eines für neurodegenerative Erkrankungen, ein drittes für Schmerzbehandlungen. Dass alles so lange dauerte, habe an der Kompexität der Unternehmung gelegen: „Die Spitäler dachten, das sei nur was für sie. Ist es aber nicht, es geht da um Behandlungsketten mit verschiedenen Akteuren. Viele Schmerzpatienten zum Beispiel müssen daheim versorgt werden.“

Ein weiteres großes Thema ist für ihn die Ausbildung: „Zurzeit bildet die Universität die ersten drei Jahre in der Medizin aus, bis zum Bachelor. Wollen wir zum Master übergehen, müssen die Spitäler stärker beteiligt werden.“ Das sei dann auch eine Frage der Qualität. „Wir müssten ja nachweisen, dass wir gut sind.“

Auf die Frage, wie groß die Bedeutung der Gesundheitspolitik als Kampagnen-Thema im Wahlkampf für die LSAP sei, entgegnet Jean-Claude Schmit, „darüber diskutieren wir noch“. Da auch Romain Nati findet, es gebe noch andere Themen, ist das ein weiterer Hinweis darauf, dass die Partei vermeiden will, dass die Gesundheitspolitik noch mehr gegen sie verwendet werden könnte.

Falls es nicht klappt mit der Wahl, stellt Jean-Claude Schmit sich vor, als Gesundheitsamtschef eben weiter zu machen. Dass er hätte zurücktreten müssen, kurz ehe er seine Kandidatur bekanntgab, findet er nicht. Er sei nur noch wenig in der Öffentlichkeit gewesen. Und Minister zum Beispiel, die erneut gewählt werden möchten, träten ja ebenfalls nicht zurück..

Gérard Schockmel (DP)

„Ich hätte schon gern Impakt”

Er war vermutlich der Pandemie-Erklärer: der Infektiologe Gérard Schockmel. Wegen der geradezu zuvorkommenden Art, mit der er seine Zuschauerinnen und Zuhörer dort abholte, wo sie waren, und der Sachkenntnis, die dahinter steckte. Die gewann der an den Hôpitaux Schuman tätige Arzt an den diversen Stationen seiner Laufbahn. Als Mediziner behandelt er Infektionskrankheiten, nicht nur virale, auch bakterielle zum Beispiel. Er war bei dem Schweizer Pharmahersteller Roche in der Arzneimittelentwicklung, er arbeitete an rekombinanten Proteinen, die auch in Covid-Impfstoffen genutzt werden. Er entwickelte einen PCR-Test für HIV mit, welcher der weltweit sensibelste war und auch die Wirkung von Medikamenten angab. 2002 nach Luxemburg zurückgekehrt, baute er zunächst das Spitallabor des Hôpital de Kirchberg auf, dann erweiterte er es zu dem der ganzen Schuman-Gruppe.

Mit so viel Knowhow über Infektionen, Diagnostik, Therapie, Molekularbiologie und Biotech, war der 62-Jährige geradezu prädestiniert für seine Auftritte in Radio und Fernsehen oder für Journalistenfragen. Obwohl: „Ich habe das damals nebenberuflich gemacht. Ich war ja nicht Mitglied der Covid-Taskforce, ich machte meinen Job im Spital weiter.“ Zwei Jahre lang habe er jede Woche wohl an die 20 Stunden mehr gearbeitet. „Am Ende war ich ganz schön fertig.“ Doch was soll‘s: Würde er mit einer 38-Stunden-Woche arbeiten, wie das Klinikpersonal laut Kollektivvertrag, „dann hätte ich in meinem Leben gar nichts erreicht”“

Ein Arzt mit LSAP-Parteibuch würde so etwas eher nicht sagen, und wenn, dann hinter vorgehaltener Hand. Doch Gérard Schockmel geht für die DP in die Wahlen, im Zentrum. Angesprochen worden sei er auch von der CSV und von Grünen. Der CSV sagte er ab wegen der Frëndeskreess-Affäre: „Der ganze Frëndeskreess hätte demissionieren müssen.“ Und weil im Europaparlament die Fraktion der Europäischen Volkspartei sich mit Kräften wie der deutschen AFD gegen die Gesetzgebung zur Renaturierung verbündete, die beiden Luxemburger EVP-Abgeordneten so mitstimmten. Gérard Schockmel sind Natur- und Klimaschutz sehr wichtig. Déi Gréng aber waren ihm am Ende zu links, zu negativ gegenüber dem Großkapital eingestellt. „Dabei brauchen wir das Großkapital für den Klimaschutz, wir brauchen einen grünen Kapitalismus!“

Nun also die DP. Im Gesundheitskapitel ihres Wahlprogramms gehen mehrere Ideen und Vorschläge auf Schockmel zurück. Etwa der, dass jede Krankenhausgruppe einen Facharzt für Infektiologie erhalten sollte. Eigentlich, sagt er, reiche das nicht, müsse es einen pro Krankenhausgeben. So stehe es in Vorgaben der EU-Seuchenschutzbehörde ECDC, die Luxemburg deshalb schon gerügt habe. Die Direction de la Santé mit Gérard Schockmels Fachkollegen Jean-Claude Schmit an der Spitze wisse das, doch „passiert ist nichts“. Dabei sei nicht nur bei der Behandlung von Infektionskrankheiten ein ganz fundiertes Fachwissen gefragt, sondern auch bei zur Prävention von Infektionen. „In Luxemburg gibt es dazu infirmiers-hygiènistes in den Spitälern. Das reichte aber nicht, es müsste ein je médecin-hyginèniste“. Unter anderem, weil diese Art von Prävention hieße, sich mit Ärzten anzulegen. „Da ist es besser, ein Arzt macht das.“

Ebenfalls sehr wichtig für ihn wäre die Schaffung eines „Exzellenzzentrums“. Im DP-Programm steht das auf Seite 70 im Plural, und gemeint sind Zentren für klinische Fachgebiete. Schockmel sieht das anders: Ein Zentrum sei nötig, dass Behandlungsdaten sammelt, und zwar im sehr großen Stil. Über Krankenhauspatienten ebenso wie die von Arztpraxen, alle Diagnosen, Behandlungen, Analysen und so fort. Unabhängig müsse dieses Zentrum sein, betont Gérard Schockmel, ohne die kleinste Verbindung zum Gesundheitsministerium oder der CNS. Nur so sei Transparenz garantiert und es könnten Datensätze gepflegt werden, die zwar riesig wären, aber mit Algorithmen beherrschbar; die vollständig wären, so dass man sähe, „wo wir stehen, welche Probleme es vielleicht gibt, was wir verbessern können.“ In Luxemburg herrsche große Intransparenz. „Wir haben nationale Dienste, aber wissen nicht, was sie können.“ Das sei gefährlich, wenn man die universitäre Medizin-Ausbildung erweitern will. Mehr Transparenz sollte es auch für die Patienten geben, findet er. „Wer sich operieren lassen muss, sollte wissen, wie viele Operationen dieser Art ein Arzt gemacht hat.“

Gérard Schockmel hält darauf, dass seine Vorstellung vom Gesundheitssystem sich wie „Tag und Nacht“ von der der LSAP unterschieden. Am Mittwochabend in einem „Face à Face“ mit Jean-Claude Schmit in RTL hatte auch Schockmel von einem „nationalen Plan“ gesprochen, der nötig sei, um den Sektor außerhalb der Kliniken zu regulieren. Doch sollte „Privatinitiativen“ wie Hygie Imagérie in Esch nicht vorgeschrieben werden, lediglich als Antenne eines Spitals agieren zu können, sondern auch außerhalb eines nationalen Plans. Finanziers und Akteuren aus dem Ausland würde Gérard Schockmel keine Steine in den Weg legen. „Die kommen sowieso!“

Die LSAP, sagt Gérard Schockmel, komme nun mit allerhand guten Ideen, habe aber jahrelang nichts gemacht. Habe das Bevölkerungswachstum verschlafen, statt die Gesundheitsversorgung strukturell und organisatorisch anzupassen. Dass der Infektiologe mit dem vielen Gepäck von Oxford über Big Pharma bis hin zu Start-ups gewählt werden will, steht außer Zweifel. Mit welchem Ziel, fragt er sich freilich. Er hätte gerne „Impakt“. In einem Parlament mit 60 Abgeordneten und als Mitglied einer Fraktion und eingebunden in eine Koalition, falls das so kommt, hätte er den eher nicht, sinniert er.

Peter Feist
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