Zur Echtheit von KI-Kunst

d'Lëtzebuerger Land vom 23.05.2025

Neulich war ich mit ein paar Freunden auf einer Kunstausstellung, eine dieser Ausstellungen, die gezielt mit Kontrasten spielt: Klassische Malerei trifft auf digitale Experimente, Öl auf Leinwand begegnet algorithmischer Pixelkunst. In einem der Räume befand sich eine Serie von Werken, die vollständig mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) erschaffen wurde.

Eines der Bilder hat mich besonders beschäftigt. Es zeigt eine düstere Vision der Zukunft, in der Menschlichkeit neu definiert wird. Und gerade diese Vorstellung, dass eine Maschine ein solches Bild erschaffen hat, das unsere eigene Zukunft infrage stellt, finde ich unglaublich faszinierend. KI visualisiert unsere Menschlichkeit, ist das nicht paradox? Genau wegen dieser Frage ließ mich das Bild nicht mehr los.

Doch was mich am meisten zum Nachdenken gebracht hat, war nicht das Bild selbst, sondern ein Kommentar eines Freundes: „Wenn es von KI generiert wurde, dann ist es ja keine Kunst.“ Eine zweifelhafte Aussage, die einige Fragen aufwirft. Wo beginnt bei Kunst Kreativität und wo hört sie auf, wenn Maschinen mitwirken? Darf KI ein legitimes Werkzeug im kreativen Schaffensprozess sein?

Wenn man Kunst klassisch definiert, ist Kunst Ausdruck menschlicher Kreativität. Ein Mittel, um Gefühle, Gedanken und Perspektiven sichtbar zu machen – visuell, auditiv oder performativ. Der Mensch im Zentrum: seine Intuition, sein Ausdruck, seine Vision. Aber was passiert, wenn ein Teil dieses Prozesses an eine Maschine übergeben wird? Verliert das Werk dann seinen künstlerischen Wert?

Ich glaube nicht. Denn auch wenn KI heute beeindruckend eigenständig Bilder, Skulpturen oder Musikstücke generieren kann, braucht sie dafür immer noch uns und unsere Ideen, Eingaben, Gedanken. Auch das Bild in der Ausstellung war kein Produkt zufälliger Algorithmen, sondern das Ergebnis eines künstlerischen Impulses. Jemand hat sich bewusst entschieden, diese Botschaft durch diese Technologie darzustellen.

Ich habe selbst schon mit KI experimentiert, meistens aus Spaß. Aber auch da habe ich gemerkt, dass ohne meinen Input, ohne meine Vorstellung die KI nichts produziert hätte. Sie war nicht der Schöpfer, sondern mein Werkzeug, wie ein Pinsel, ein Musikinstrument oder eine Kamera. Natürlich kann KI nicht fühlen. Sie kennt keine Ängste, keine Sehnsüchte, keine Zweifel. Aber war Kunst je nur Ausdruck von Emotion? Ist ein Architekt, der mit mathematischer Präzision entwirft, weniger Künstler als jemand, der impulsiv mit Acrylfarben experimentiert?

Technologie war schon immer Teil der Kunstgeschichte. Der erste Höhlenmensch, der ein Stück Holzkohle benutzte, war technologisch kreativ. Der Druck mit beweglichen Lettern war einst revolutionär. Heute sind es digitale Tools, morgen vielleicht neuronale Netze. Die Kunst hat sich immer weiterentwickelt, mit dem Menschen im Zentrum, mit oder ohne Hilfsmittel.

Trotzdem bin ich nicht naiv. Es gibt berechtigte Ängste. Wird KI den Künstler ersetzen? Verlieren wir traditionelle Fähigkeiten? Wird Kunst generisch oder seelenlos? Ich glaube, das Risiko besteht nur, wenn wir die Kontrolle abgeben, wenn wir vergessen, dass wir es sind die, der KI überhaupt erst Angaben und Richtlinien geben müssen.

Ich bin neugierig, aber auch kritisch. Einerseits ist KI Teil unserer Entwicklung. Sie kann ein mächtiges Werkzeug sein, wenn wir sie bewusst einsetzen. Andererseits darf sie kein Selbstzweck werden, Kunst darf nicht zur Stilkopie entarten. KI kann imitieren, aber nicht träumen, nicht hinterfragen, nicht fühlen. Ohne unsere Intention bleibt sie ein bloßes Werkzeug.

Für mich ist deshalb die Antwort auf die Aussage meines Freundes eindeutig: KI-generierte Kunst ist Kunst, solange der Mensch die treibende Kraft bleibt. Sie wirkt vielleicht anders. Aber wenn sie Gedanken oder Emotionen in uns auslöst, erfüllt ihre Aufgabe aufs Genauste.

Sam Guerreiro Carvalho
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