Notizen zu Echtheit und Simulation

Die hemmungslosen Schaufelschwinger

d'Lëtzebuerger Land vom 13.06.2025

Ja, es ist immer wieder schön, wenn Politiker in aller Öffentlichkeit ungeniert ihre Täuschungskünste vorführen. Betreten wir die Bühne der amtlichen Hochstapelei und Gefallsucht und betrachten wir ein frappantes Beispiel. Auf dem Kirchberg wird der erste Spatenstich für die neue Tram-Trasse Richtung Europaschule inszeniert. Hinter einem sauber aufgeschichteten Erdhaufen warten die herausgeputzten Notabilitäten mit den obligaten Schaufeln. Die Stadtbürgermeisterin, eine Tram-Enthusiastin der ersten Stunde, ist da, auch eine Ministerin und weitere hohe Tiere aus Verwaltung und Tramgesellschaft. In ihrem Rücken sind zwei große Bagger aufgebaut, die Schaufelarme himmelwärts gereckt. Die Szenerie sieht nach Schwerstarbeit aus.

Sind die Fotografen da? Kamera läuft? Dann mal los mit der Political Standup Comedy. Die sieben Schaufeln sehen verdammt neu aus. Bei näherem Hinsehen würde man vermutlich noch die Preisschilder entdecken. Weil das symbolische Eintauchen der Schaufeln in den Erdhaufen – Achtung, sozio-ökonomische Bedeutung! – eine sehr schlichte Angelegenheit ist, kann ein bisschen Firlefanz nicht schaden. Ein besonders illuminiertes Mitglied der Schauflerdelegation schleudert ein Häufchen Erde hoch hinauf in die Lüfte. Auf einem Foto sieht man, wie die Erde malerisch herunterrieselt. Toll! Wir Simulanten sind echt gut drauf.

Bleibt nur die Frage: Wo sind denn die wirklichen Werktätigen? Jene, die ab jetzt das Gleisbett bauen werden? Hier stehen lediglich die Geldgeber, wobei auch das nicht einmal stimmt. Sie transferieren nur das Geld, das nicht ihnen, sondern den Steuerzahlern gehört. Weit und breit kein Arbeiter in Sicht. Warum stattet man ungelenke und linkische Dilettanten mit Schaufeln aus, wo doch die Profis den symbolischen Akt viel besser bewältigen könnten? Sind arbeitende Menschen zu unattraktiv? Sehr attraktiv wirkt jedenfalls die Ministerin für Mobilität und öffentliche Arbeiten. Zum Schaufelschwingen hat sie sich spektakulär in Schale geworfen. Offenbar klingt immer noch der vestimentäre Code aus ihrer Zeit als Hofmarschallin nach. Zugegeben, ein blaues Overall im Proleten-Look hätte alles noch schlimmer gemacht. Die Verulkung der Arbeiterklasse hat schließlich Grenzen. Beim Begutachten dieses unverschämten Täuschungsrituals kann einem schon mal der Gedanke kommen: Wie sähe es aus, wenn diese fiktiven Schaufler für einen Monat zur Fronarbeit am Gleis verdonnert würden? Wahrscheinlich wären alle schon nach ein paar Stunden krankenhausreif.

Ortswechsel: Auf der Luga, der völlig überteuerten Natur-Simulations-Initiative, wird der punktuelle Symbolismus à la Kirchberg zum strukturellen Gestaltungsprinzip. Hier ist unter dem Strich alles Täuschung und Irreführung. Man simuliert mit pathetischer Geste die Beherrschung der Natur. Wozu reale Biodiversität anstreben, wenn die virtuelle Projektion derart massiv beworben wird? Die Veranstalter appellieren an das Vorstellungsvermögen der Luga-Besucher: „Was wäre, wenn sich die Straßen von Luxemburg in einen riesigen offenen Garten verwandeln würden?“ So können nur Zyniker fragen. Denn in diesem Fall würde die gleiche Stadtverwaltung, die das Luga-Projekt über den grünen Klee lobt, sehr schnell den „riesigen offenen Garten“ rückgängig machen. Ihre Stammklientel, die Geschäftswelt, würde ihr nämlich stante pede den Marsch blasen. Da kommt ein bisschen Naturspektakel-Tamtam im Petrusstal und im Stadtpark als Ablenkung gerade recht. Ein zeitlich begrenzter Zauber, Showeffekt garantiert, Nachhaltigkeit null. Bezeichnenderweise ist das Ziel der Aktion ein „Naturspielplatz“, also ein schillernder Playground für verwöhnte Fun-Liebhaber. Die Natur wird kurzerhand zum grünen Disneyland erklärt. „Das Unsichtbare sichtbar machen“ lautet das Luga-Motto. Lieber nicht. Die geheime Agenda der Stadtverwaltung bleibt besser im Dunkeln. Ein konsequentes Umweltkonzept sucht man dort vergebens.

Knapp einen Kilometer Luftlinie vom neuen Naturvergnügungsressort im Petrusstal entfernt liegt der Pariser Platz, ein emblematischer urbaner Hotspot. Hier kann man das tatsächliche Verhältnis der Stadtverantwortlichen zu Natur und Begrünung besichtigen. Dieser Platz ist eine elende Steinplattenwüste, die jeder Einsicht in die Dringlichkeit ökologischer Schutzmaßnahmen spottet. Die City hätte hier ohne weiteres eine Art städtebauliches Versuchsfeld einrichten können, zumindest eine Piazza, die als grüne Lunge im Bahnhofsviertel funktionieren würde. Doch so viel Umweltvorsorge geht den Politikern offenbar über die Hutschnur. Sie ziehen einen Platz vor, der ihren eigenen Horizont spiegelt: eine phantasielose Leerstelle im Stadtbild, eine No-Go-Area, die alle Fehler und Versäumnisse denkfauler Stadtlenker quasi unter dem Brennglas vorführt. Aber auf der Luga wird dem Umweltbewusstsein der grüne Teppich ausgerollt. Ihr Kinderlein kommet, tobt euch aus auf dem naturechten Rummelplatz. Hier dürft ihr Umweltrettung spielen.

Ortswechsel: Diesmal sind wir im Ardennerflecken Holtz, wo der renovierte Campingplatz Héiltzerstee feierlich eingeweiht wird. Keine Schaufeln im Einsatz, aber Scheren. Aufgereiht hinter einem gespannten Trikoloreband warten die Lokalmatadoren auf ihre Schnippel-Performance. Mittendrin der Mann, der sich Kulturminister nennt, doch hier wohl als Tourismus-Zierpflanze auftritt. Sind die Fotografen da? Kamera läuft? Dann mal los mit der Political Standup Comedy. Die acht Scheren sehen verdammt neu aus. Bei näherem Hinsehen würde man vermutlich noch die Preisschilder entdecken. Weil das Durchschneiden eines Trikolorebands – Achtung, national-patriotische Bedeutung! – so schrecklich banal ist, wird ein bisschen kreativ improvisiert. Auf einem Foto sieht man die acht Scherenträger ihr abgetrenntes Stück Trikoloreband stolz in die Höhe halten. Ein kultureller Kraftakt sondergleichen. Wahrscheinlich lassen die Scherenkünstler ihren Stofffetzen rahmen, um ihn den Enkelkindern zu zeigen: Das hat der Opa/die Oma eigenhändig geschnippelt. Toll, was?

Großer Bahnhof mit Staatspräsenz für einen gewöhnlichen Öslinger Campingplatz? Wieso? Die Eigenwerbung der Campingplatzbetreiber verrät den Grund: „Natur, Kreativität und Wohlbefinden“ stehen im Angebot. „Lauschen Sie dem Rauschen des Wassers und dem Gesang der Vögel, um einen Aufenthalt in völliger Ruhe zu genießen.“ Den Holtzer Ädilen ist es offenbar gelungen, den verfluchten weltweiten Klimawandel in die Schranken zu verweisen. Hier ist die Natur noch intakt. Die Campingplatzbetreiber simulieren munter eine bedrohungsfreie Idylle. Man denkt unwillkürlich an die provokante Forderung der Landwirtschaftsministerin Hansen, auf EU-Ebene die Waldschutzregeln abzuschwächen. Vielleicht hat sie einmal in Héiltzerstee logiert und sich am gesunden lokalen Wald inspiriert. Was soll denn hier geschützt werden? Hier ist die Welt in Ordnung. Ganz anders als in diesem fernen Lötschental, wo soeben die Welt zusammenbricht. Wer würde es wagen, den Lötschentalern zu empfehlen: „Lauschen Sie dem Rauschen des Wassers und dem Gesang der Vögel“? In Holtz hingegen ignoriert man Katastrophen.

In den unversehrten Wäldern rundum das Camping-Areal ist die Zeit stehengeblieben. Hier dürfen die Touristen nach Herzenslust auch alten, liebgewonnenen Vorurteilen huldigen. Die Camping-Gäste haben laut Internet-Publizität die Möglichkeit, in sogenannten „Gypsy Wagons“ zu übernachten. Ist der Kulturminister über diese krasse Anti-Woke-Werbung gestolpert? Hat er sich für die Sinti und Roma starkgemacht? Doch wer will schon die Gemütlichkeit in der Spaßzone stören. Immerhin gab man dem Minister einen Korb. Einen Präsentkorb natürlich. Sollte dies als Bestechung gewertet werden? Man weiß ja, wie man dem Staat schmeicheln muss, damit er weiterhin Simulationen des Wohlbefindens unterstützt. Und jetzt? Uns bleibt nur, mit Bertolt Brecht zu klagen: Der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Guy Rewenig
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