Wes Andersons Werk gilt als eines der unverkennbarsten im zeitgenössischen Kino. Seine Handschrift – geprägt durch Symmetrie, pastellfarbene Bildwelten, typisierte Figuren und eine fast obsessive Detailverliebtheit – hat ihm Kultstatus und eine feste Nische im globalen Arthouse-Kino verschafft. Die stilistische Geschlossenheit, die sein Frühwerk auszeichnet, tendiert in späteren Filmen zur ritualisierten Wiederholung – ein Prozess, der weniger von Entwicklung als von Selbstvergewisserung zeugt. Man erlebt seine Filme nicht mit den Figuren, man blickt fortwährend auf sie; sie sind Teil einer Ästhetik der Überkonstruktion geworden. Und ja: Wer noch nie einen Wes-Anderson-Film gesehen hat, dürfte von seinem neuen Film The Phoenician Scheme wohl begeistert sein.
Wer aber bereits Asteroid City (2023), The French Dispatch (2021) oder den großen Publikumserfolg Grand Budapest Hotel (2014) kennt, wird von dem neuen Film, der kürzlich in Cannes Premiere feierte, kaum überrascht sein. The Phoe-
nician Scheme bietet, was man von Anderson erwartet – vielleicht sogar, will man fürchten, ein wenig mehr. Denn wenn dieser Film überhaupt überrascht, dann durch die Tatsache, dass der Regisseur seinen ohnehin hochkonstruierten, kunstvollen und oft selbstverliebten Stil nochmals gesteigert hat: grotesker, surrealer, verspielter als zuvor.
Den Anfang dieser langen Reise zur Selbstreferenz bildete Rushmore aus dem Jahr 1998, in dem der 15-jährige Max, Schüler an der elitären Rushmore Academy, zwischen Schulversagen, Theaterleidenschaft und einer unmöglichen Liebe zu einer Lehrerin taumelt. Schon hier zeigt sich das Spannungsverhältnis, das Andersons gesamtes späteres Schaffen begleiten wird: Filmisches Zeigen und filmisches Erzählen sind unterschiedliche Konzepte, unterschiedliche Reizkategorien. Anderson ist einem zwanghaften Zeige-Gestus verpflichtet, er präsentiert uns seine Welt, entfaltet sie nicht. Die Bilder sind oft zentralperspektivisch komponiert, etwa wenn Max auf der Bühne steht oder in der Aula sitzt – die Kamera folgt dabei streng den Bewegungsachsen der Figuren. Die Montage rhythmisiert den Film stark – kleine Tableaus folgen aufeinander, fast wie Seiten eines illustrierten Schulbuchs. Es ist diese beständige Referenz der Bilder auf sich selbst, die den konstrukthaften Charakter dieses ersten Filmes ausmacht, dessen Zeige-Gestus den gesamten Inhalt bestimmt.
Drei Jahre später erreicht Anderson in The Royal Tenenbaums (2001) eine neue Stufe formaler Kontrolle. Es geht um eine zerstrittene Familie ehemaliger Wunderkinder, die sich nach Jahren der Trennung wieder unter einem Dach einfinden – nicht zur Versöhnung, sondern durch den vorgetäuschten Krebs des Vaters. Die Eröffnung des Films gleicht einem Daumenkino: In schnellen Schnitten werden Charaktere und Räume eingeführt, begleitet von Voice-over, klaren Kapitelüberschriften und akribisch inszenierten Bildern. Jede Einstellung ist wie ein Schaubild, die Kadrierung streng symmetrisch, als würde man durch einen Glaskasten blicken. Eine Puppenhaus-Ästhetik: Das Elternhaus wird nicht als realer Ort, sondern als geschlossene Welt inszeniert – jede Tür, jedes Bild, jede Tapete wirkt wie Teil eines Setdesigns, ohne realweltlichen Bezug. Zwar ist Andersons „Puppenhaus“ noch nicht fertig eingerichtet, doch die Grundrisse sind erkennbar.
In Moonrise Kingdom (2012) denkt Anderson über die Kindheit nach. Die Handlung spielt in den 1960-ern auf einer fiktiven Insel in Neuengland und folgt zwei jugendlichen Ausreißern, die vor der Welt der Erwachsenen fliehen. Der Film gleicht einem Märchen – wieder ist die Welt streng komponiert: Die Pfadfindertruppe marschiert in perfekt synchronen Bewegungen, die Kamera fährt entlang exakt aufgereihter Zelte. In einer Szene auf einem Leuchtturm dreht sich die Kamera langsam im Kreis, als taste sie die Ordnung dieser abgeschlossenen Insel-Welt ab; es ist die Anderson-Welt in der nichts dem Zufall überlassen ist.
Mit The Grand Budapest Hotel (2014) erreicht Andersons Stil seinen visuellen Höhepunkt, da steht es nun, das Puppenhaus: Das kunstvoll verschachtelte Zeitreise-Märchen setzt den Concierge Gustave H. in Szene, der in den 1930-er Jahren ein Hotel in einem fiktiven mitteleuropäischen Staat leitet und in einen Mordfall verwickelt wird. Drei Zeitebenen, jede mit eigenem Bildformat (4:3, 1,85:1 und Cinemascope) strukturieren den Film. Das Hotel selbst ist ein Modellbau, die Außenansichten stammen aus Miniaturen, Bewegungen durch das Gebäude werden häufig mit Stop-Motion-Logik oder kameratechnischer Rigidität inszeniert. Doch bei aller technischen Brillanz fällt auf, dass Anderson hier vor allem seine Stilmittel vorführt – weniger im Dienst einer weiter verweisenden Erzählung, sondern mehr ihrer selbstreferenziellen Überformung. Das Puppenhaus ist perfekt – aber auch narzisstisch-hermetisch.
The French Dispatch (2021) ist eine Anthologie aus drei Kurzgeschichten, eingebettet in den letzten Tag einer fiktiven amerikanischen Auslandszeitung in Frankreich. Inhaltlich springt der Film zwischen Politik, Kunst und Kulinarik – stilistisch ist er ein Schaulaufen der Anderson-Puppen, für die inhaltliche Themen keine die Gesellschaft spiegelnden Ansätze mehr sind, sondern nur mehr Aufhänger für das Puppentheater, das endgültig Marotte geworden ist. Jede Geschichte hat ihre eigene Farbwelt, ihr eigenes visuelles Konzept. Statt aber in eine Geschichte einzutauchen, springt man zwischen Vignetten, die mehr Schaufenster als Erzählraum sind – das Puppenhaus ist nun ein Museum geworden. Zuletzt unternahm noch Asteroid City (2023) den Versuch, die eigene Ästhetik durch Meta-Ebenen zu reflektieren. Der Film erzählt – in Form eines Theaterstücks innerhalb einer Fernsehdokumentation – von einem wissenschaftlichen Kongress in der Wüste in den 1950-er Jahren, der durch die Landung eines Außerirdischen gestört wird. Die Struktur des Films ist verschachtelt, die Erzählebenen durchbrechen sich gegenseitig. Die Meta-Ebene könnte eine Reflexion auf Andersons eigenes Schaffen sein – doch sie führt nicht aus dem Puppenhaus heraus. Vielmehr ist es ein weiteres Zimmer darin: mit doppeltem Boden, aber gleicher Dekoration.
In The Phoenician Scheme nun entwirft Anderson die Geschichte des exzentrischen, skrupellosen Industriellen Zsa-Zsa Korda (Benicio del Toro), der durch seine Geschäfte in der Rüstungs- und Luftfahrtbranche reich geworden ist. Als er mit einer geheimen Unternehmung internationale Aufmerksamkeit erregt, gerät er ins Fadenkreuz rivalisierender Wirtschaftsmagnaten, ausländischer Terrorzellen und fanatischer Attentäter. Nachdem er mehrere Mordanschläge überlebt hat, sieht Korda sich gezwungen, Vorsorge zu treffen: Er macht seine Tochter Liesl (Mia Threapleton), eine Nonne, zur Alleinerbin seines Imperiums. Die Kamerabewegungen sind kontrolliert, oft linear, die Figuren rezitieren mit monotoner Präzision die Andersonschen Worte. Das macht die Puppen indes nicht lebendig.
Durch all diese Werke zieht sich eine fast obsessiv-narzisstische Liebe zur Form, die den Inhalt überwiegt. Während andere Regisseure ihre Formensprache wandeln, um sich über ihre Themen oder Figuren mit der Zeit neu zu verbinden, bleibt Anderson gefangen in der Wiederholung seines starren, ja toten Stils, der per se keine Entwicklung zulassen kann. Das Puppenhaus ist längst kein Ort des Spiels mehr – es ist ein mechanisch kontrollierter ästhetischer Käfig geworden. Das Medium gerinnt zur reinen Konstruiertheit – ein filmisches Post-Mortem, das sich nur noch dem ästhetischen Eigenwillen verpflichtet sieht.