Hast Du eigentlich schon „Danke“ gesagt?! Für alles, was Sand für Dich tut? Es fängt am Morgen an: Die Zahnpasta besteht gut zu einem Drittel aus Sandstaub. Das Waschbecken ist aus Keramik, also nicht zuletzt aus Quarzsand. Das Wasser – vermutlich mit Sand filtriert und gereinigt. Der Wasserhahn – vielleicht mit Sandguss und Sandstrahlen fabriziert. Kunststoff wird oft mit Sand gefüllt. Und falls der erste Griff nicht der Zahnbürste gilt, sondern dem Smartphone: Ohne Sand gibt es kein Glas und keinen Mikrochip. Ohne Sand läuft auf dieser Welt praktisch nichts. Prompt entwickelt sich das allgegenwärtige Material zur Mangelware: Brauchbare Mineralkörner mit einer Größe von 0,06 bis 2 Millimeter werden zunehmend knapp.
Vielleicht ist es ein Fehler, Kinder in den Sandkasten zu lassen? Jedenfalls wird Sandeln zur Obsession: Menschen bewegen heute zwei Mal mehr Sediment als alle Flüsse der Welt zusammen. Die Industrie ist vergleichsweise sparsam, sie verbraucht pro Jahr rund 400 Millionen Tonnen Industriesand. Die Baubranche aber langt richtig zu: für ein Einfamilienhaus etwa 200 Tonnen Sand, für einen Autobahnkilometer gut 30 000 Tonnen. Grob geschätzt bestehen heute zwei Drittel aller Bauten aus Stahlbeton, und der wiederum zu zwei Dritteln aus Sand. Pro Jahr fressen Beton, Mörtel, Ziegel oder auch Asphalt rund 50 Milliarden Tonnen Bausand. Allein auf China entfallen davon etwa 25 Milliarden, auf Indien rund 3,3 Milliarden. Ein Luxemburger verbraucht im Schnitt rund 7,5 Tonnen Sand und Kies: vom Baby bis zum Greis, jeder einen ganzen Lastwagen. In einem Jahr!
Wüstensand gibt es reichlich, auf 10 Prozent der Erdoberfläche. Sandkörner aus der Wüste sind aber vom Wind zu glattgeschliffen und zu einheitlich – daraus lässt sich kein Beton machen. Meeressand muss erst mit viel Süßwasser von Salz gereinigt werden, wenn der Bewehrungsstahl nicht rosten halten soll. Das ist aber immer noch viel billiger, als sich an Land mit Anwohnern, Umweltauflagen und Naturschützern herumzuschlagen. Der Großteil des Bausands wird daher mittlerweile von Meeresböden gesaugt. Luxemburg mischt dabei diskret im Hintergrund mit: Die Jan-De-Nul-Gruppe, einer der größten Betreiber von Saugbaggern, hat in Capellen ihren Steuer-Hauptsitz und in ihrem Vorstand sitzen die ehemaligen LSAP-Wirtschaftsminister Etienne Schneider und Jeannot Krecké. Der Konzern mit 95 Baggerschiffen, mehr als 8 000 Mitarbeitern und 4 Milliarden Euro Umsatz nennt sich neuerdings „World Builders“. Das klingt vermessen, ist aber wahr: Künstliche Inseln im Persischen Golf und andere Riesenbaustellen verändern unseren Planeten.
Weil geeignete natürliche Vorkommen vor Dubai erschöpft sind, leben nun Tausende Australier davon, den Arabern Sand zu verkaufen. Von den Beton-Orgien in Saudi-Arabien profitieren schottische Sandhändler. Der Goldpreis schwankt – Sand aber wird stetig teurer. Der US-Produzenten-Preisindex „Construction Sand and Gravel“ der FED St. Louis hat sich vom Wert 100 im Juni 1982 bis heute mehr als verfünffacht auf 574. Land-Aufschüttung in Singapur ließ in den Nachbarländern den Sandpreis in wenigen Jahren von 3 Dollar auf 190 Dollar pro Tonne steigen. (Disclaimer: Investieren in Sand- und andere Banken kann zu Totalverlust führen.)
Die Umweltorganisation der UNO versucht schon seit zehn Jahren, darüber aufzuklären, dass Sand keine erneuerbare, keine unendliche Ressource ist. Gerade arbeiten Forscher, vor allem in Genf und an belgischen Universitäten, an einem neuen UN-Bericht zu „Sand and Sustainability“. Er wird bestimmt nicht schön: Sand-Raubbau zerstört ganze Landstriche. Geröllhalden am Strand sind schlecht für Meeresschildkröten, aber auch für den Küstenschutz. Die indische Sand-Mafia geht über Leichen. Wenn ganze Inseln weggebaggert werden, verändern sich Grenzen – und Staaten kommen sich noch mehr ins Gehege als ohnehin schon.
Immerhin wird nach Auswegen gesucht. Dänemark hat eine Steuer für Meeressand eingeführt. Eine Möglichkeit wäre, rein theoretisch: weniger Bauen, dafür vernünftiger und haltbarer. Realistischer ist die Suche nach Alternativen für Sand: Beton mit Glasscherben, Asche aus der Müllverbrennung, Schlacke oder Pflanzenkohle? Japanische Tüftler wollen einen Teil des Bausands durch geschredderte alte Windeln ersetzen. In Namibia wird in einem Pilotprojekt Wüstensand mit Polyesterharz zu Blöcken verklebt, die wie große Lego-Steine aussehen. Damit verschärft sich allerdings die Konkurrenz um PET-Rezyklat. Das wird dann der nächste knappe Rohstoff: brauchbarer Plastik-Müll.