Die Gemeinden Monnerich, Reckingen/Mess und Garnich könnten im Südbezirk wahlentscheidend sein. Ein Besuch im grünen Gürtel, wo die Welt für viele noch halbwegs in Ordnung ist

„Zu véier Säite fräi“

Park Molter, Monnerich
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 06.10.2023

Im Park Molter in Monnerich wurde der Spielplatz kurz vor den Gemeindewahlen fertiggestellt: Der blaue Gummiboden federt noch ab, die Mulche liegt gleichmäßig verteilt auf dem Boden, ein Gemeindearbeiter kümmert sich um die Holzstrukturen. Zwei Mütter sind aus Nachbargemeinden hergekommen, um mit ihren Kleinkindern den Montagmorgen hier zu verbringen. Der Gimbiss, ein blauer Container, hat im Park über die letzten Monate zu „After Work“-Drinks geladen, die Beleuchtung davor hängt noch und glitzert in der morgendlichen Sonne. Neben dem Wochenende war er auch an den schulfreien Dienstag- und Donnerstagnachmittagen offen, eine Klientel gab es dafür. Die DP-Spitzenkandidaten Max Hahn und Claude Meisch ließen sich zu den After-Work-Drinks dort blicken, ebenso wie Taina Bofferding (LSAP), um auf Stimmenfang zu gehen.

Laut Statec wohnen in der 7 000 Einwohner-starken Gemeinde 71,7 Prozent Luxemburger/innen (Stand Januar 2022). Damit landet sie im Bezirk Süden auf Platz drei der autochthonen Hitparade, hinter Garnich (74,1 Prozent) und Reckingen/Mess (79 Prozent). Da der Wahlbezirk Süden mit 23 zu vergebenden Mandaten der größte ist, dürfte das, was die Menschen hier umtreibt, einen überproportionalen Wert haben, auch wenn die reinen Wählerzahlen niedriger als in den südlichen Städten sind: 2018 gingen in den drei Gemeinden insgesamt knapp 7 000 Menschen wählen (von 11 500 Einwohner/innen); dagegen übten in Esch/Alzette rund 12 000 ihr Wahlrecht aus, lediglich ein knappes Drittel der dortigen Bevölkerung. Sowohl 2017 als auch 2021 gehörten Garnich und Reckingen/Mess laut Statec zu den Top Fünf der landesweit am besten gestellten Gemeinden, was den sozioökonomischen Index angeht.

Zwei Passanten, die durch den Park Molter spazieren – wir nennen sie Jessica und Marc, da sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wollen – kennen die Gemeinde und seine Einwohner/innen gut. Ist das hier ihrer Meinung nach das Minett? Marc nickt: „Hei si Monnerecher Bounesäck“. Jessica sei „Monnerecher mat Läif a Séil“, auch wenn sie heute nicht mehr hier lebt. „Der typische Luxemburger wohnt gerne in einem auf vier Seiten freistehenden Haus – und möchte den Lebensstandard, den er hat, behalten“, subsumieren die beiden die Lebenseinstellung der hiesigen gehobenen Mittelklasse. Dies zeigt sich vor allem beim Thema Wohnen. Marc erinnert sich an eine Zeit, als Kinder zur Ersten Kommunion einen Bauplatz geschenkt bekamen (bis zu 75 Prozent von den Grundschulkindern werden dem Liser nach in der Gemeinde später an das klassische Lycée orientiert). Auch wenn man wahrscheinlich keinen Bauplatz mehr verschenken kann: „Man sieht, dass der Monnerecher noch eine gute Wohnsituation hat“, meint Jessica. Die Familien, die hier wohnen, täten das oft seit Jahrzehnten, ihre Kinder blieben, weil sie „déck zefridden“ sind – und als Erbende die Möglichkeit dazu haben.

Für ein Einfamilienhaus in Monnerich zahlt man derzeit mindestens 900 000 Euro. Ist bis 2018 unter den sozialistischen Bürgermeistern Dan Kersch und Christine Schweich in den sozialen Wohnungsbau investiert worden, hatte der schwarz-blaue Schöffenrat unter Bürgermeister Jeannot Fürpass (CSV) bisher eher andere Prioritäten, etwa die Schaffung eines neuen Gemeindeateliers.

Unweit von Monnerich, in Wickringen, auf halber Strecke nach Reckingen/Mess, an der Escher Autobahn, wird der Unternehmer Marc Giorgetti Ende 2024 sein Megaprojekt Gridx eröffnen. Ein 42 000 Quadratmeter großer Konsumtempel, auch „Automekka“ genannt, wird nicht nur PKWs ausstellen, sondern auch Einkaufszentren und Büros beinhalten. Fährt man landein, vergisst man das schnell. Idyllische grüne Hügel, Kürbisfelder, so weit das Auge reicht, bis nach Reckingen/Mess. Die Hauptstraße Rue Jean-Pierre Hilger, gesäumt von Einfamilienhäusern in diversen Ausführungen, zieht sich über einen Hügel am Gemeindehaus entlang in Richtung Ehlingen. Etwa in der Mitte, im Dorfkern, steht Marianne Bruch-Noesen vor ihrem renovierten Bauernhaus und zupft trockenes Efeu von der Mauer. Hinter ihr wird gewerkelt: Als ein neues Haus gegenüber gebaut wurde, sollte beim Abriss des alten das erste Wegkreuz aus dem Süden des Landes, aus dem 16. Jahrhundert, ebenfalls verschwinden. Marianne Bruch-Noesen und ihr Mann beschlossen, es zu putzen, herzurichten und vor ihr eigenes Haus zu stellen. Gerade wird es angebracht, um später auf einem Sockel zu stehen. Vor mehr als 30 Jahren ist sie mit ihrer Familie hergezogen, weil sie aus dem Minett aufs Land wollte. „Die Bauern sind mittlerweile weg, aber schön ist es immer noch hier.“ Auch wenn die meisten Familien gut situiert seien, hätten ihre Kinder trotzdem nicht mehr das Geld, um weiter hier zu wohnen, moniert sie. Als Minettsdapp zählt sie ihren Wohnort nicht zum Minett – die Reckener seien anders drauf, weniger offen.

Manchmal als „grüner Gürtel“ zwischen Esch und der Hauptstadt bezeichnet, wird in den Ortschaften der Gemeinde das ländliche Ambiente und die Nähe zu den Städten gelobt. Gleichzeitig beklagen die Einwohner/innen das Verschwinden von kleinen Einkaufsläden und Cafés, von denen es hier einst neun (!) gab. Neben Marianne Bruch-Noesens Haus hängt immer noch das Schild des „Café Wester“, das seit Jahrzehnten geschlossen ist. Jean-Paul Mertes, kahler Kopf und lange graue Barthaare, lebt mit seiner Frau seit 1999 im Gebäude. (Sie bestehen darauf, dass der Buchstabe G am Ende von „Reckeng“ ausgesprochen wird, sonst werde man „rosen ewéi eng Spann“.) Den hölzernen Tresen und die Dekoration des Cafés haben sie beibehalten, die Zeit scheint stehengeblieben. Das Haus strotzt vor Büchern, in einem Raum stehen vor allem religiöse Paraphernalien, Ikonen, Kerzen und Kreuze. Man kann den gelernten Theologen als Dorfschreiber der Gemeinde verstehen, wird er von der Verwaltung immer wieder mit dem Verfassen von kleineren Beiträgen zur lokalen Historie betraut. Diesen Sonntag will er die Kommunisten wählen, da sie für ihn das „Christlichste in der Politik“ darstellen. Er ist überrascht darüber, dass hier fast 80 Prozent Luxemburger/innen wohnen. Rund herum lebten Portugiesen, Inder, Menschen aus Ex-Jugoslawien. Auch Flüchtlinge leben hier, „in einem sehr guten Miteinander“. „Wann d’Leit bis do sinn, mierken déi aner, déi sinn ewéi mir“, sagt Mertes. Die reine Dorfmentalität sei mehr oder weniger verschwunden. Gleichzeitig erinnert er sich daran, dass sich die Einwohner in den 90er-Jahren vehement gegen sozialen Wohnungsbau wehrten. Das Wachstum ist in der vom sozialistischen Bürgermeister Carlo Muller geführten Gemeinde im Gegensatz zu anderen eher langsam – auch weil man die Natur erhalten wolle, sagte Carlo Muller über sein Dorf (d‘Land, 25.03. 2016).

Vor der Gemeindeverwaltungg werden die Einwohner/innen mit einem Aushang daran erinnert, dass an Sonn- und Feiertagen nicht gehämmert werden und man in Konfliktsituationen dem Nachbarn erstmal ruhig seinen Standpunkt erläutern solle. Am Ende der Straße liegt das Café Mess, das für einen Montagmittag gut besucht ist. Am Tresen sitzen ein paar Männer und starren in ihr Bier, im Hintergrund läuft Too much love will kill you von Queen. Patricia, Hundepfoten am Nacken tätowiert und Lippenring, kümmert sich darum, dass die Gläser der stummen Männer neu befüllt werden. „Es ist nicht mehr machbar, hier zu leben“, sagt sie. Mit ihrem kleinen Gehalt, zwei Kindern und einem laufenden Scheidungsverfahren sei es sehr schwierig gewesen, in ihrer Heimatgemeinde eine Wohnung zur Miete zu finden. Es sei reines Glück gewesen. Der neue Häuserkomplex auf dem Hügel werde dagegen die „räich Cité“ genannt. Sie findet es nicht in Ordnung, dass Luxemburger/innen das Land in Richtung Grenzregion verlassen, und so viele andere herziehen, die es sich offenbar noch leisten können, hier zu wohnen. „Mär funktionéiere just nach.“ Im Wahlkampf werde nun sehr viel versprochen und nachher ändere sich nichts. Wo sie ihr Kreuz am Sonntag machen wird, weiß sie noch nicht.

Weiter nördlich in Garnich sind die Hügel etwas flacher, aber immer noch grün und mit Kühen und Pferden darauf. Der ADR-Abgeordnete Fred Keup wohnt hier, sein Gesicht hängt an gefühlt jedem zweiten Lampenpfosten. Als er bei den letzten Nationalwahlen 2018 zum ersten Mal kandidierte, holte seine Partei in Garnich 13,3 Prozent der Stimmen, 5 Prozent mehr als der nationale Durchschnitt. Im frühen 20. Jahrhundert ein winziges Dorf mit einer Bevölkerung von 550 Menschen, vorrangig Handwerker, hat sich einiges verändert. Große freistehende Einfamilienhäuser, ebenso wie sorgsam renovierte Bauernhöfe mit Gärten und geräumigen Autos davor. Könnte das das Luxemburg sein, das sich die ADR wünscht? Das Dorf wirkt heute wie ausgestorben, es gibt praktisch keinen Fußverkehr, Fahrradfahrer rennen in Lycra-Hosen durchs Dorf. Einen Park sucht man hier vergeblich. Allein im Café Baesch finden sich ein paar Menschenseelen. Ein Mann am Tresen trinkt sein Bier. Er wohnt in der Nachbargemeinde und findet, die Regierung habe nichts für die Portugiesen gemacht, die tagtäglich auf den Baustellen schuften, sondern nur die Betriebe gestärkt. Eine Sauerei, all das. Er schüttelt den Kopf und trinkt weiter. Er schwanke für den Sonntag zwischen CSV und KPL.

Ein bisschen Leben kehrt erst ins Dorf ein, als es an der Grundschule klingelt und die Kinder herausrennen, um von ihren Eltern abgeholt zu werden oder in die Maison Relais gegenüber begleitet zu werden. Eine Mutter sitzt auf den Treppen. Sie erklärt, sie habe ihren Kindern zuliebe den Wechsel in den Bildungssektor gemacht. Damit ist sie hier nicht alleine: Informationen der Gemeindeverwaltung nach arbeitet eine Mehrheit in den neu gebauten Siedlungen der Gemeinde (Cité Wuesheck in Dalheim und An der Merzel in Garnich) im Bildungssektor und bei der Polizei. Die Maison- Relais-Plätze seien seit diesem Schuljahr voll, erfährt das Land auf Nachfrage. Allerdings vor allem in den Mittagspausen an den langen Schultagen, danach flache es stark ab.

Sarah Pepin
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