Lage der Nation 2008

Kleine Geschenke

d'Lëtzebuerger Land du 22.05.2008

Die von in weiten Abständen wechselnden Premierministern dem Parlament vorgetragenen Erklärungen zur Lage der Nation tragen jedes Jahr dieselbe Botschaft: Die Regierung hat die Lage im Griff und noch Großes vor. Nur die an diese Erklärungen gebundene Überzeugungskraft schwankt zyklisch.

Derzeit ist die Überzeugungskraft vergleichsweise schwach. Denn der Streit zwischen den Koalitionsparteien und die Absetzbewegungen des Premiers lassen die Fragen aufkommen, wer noch in einem hal­ben Jahr die Lage im Griff haben soll und wie sich die misstrauischen CSV und LSAP noch zu Großem zusammenraufen sollen.

Das sind selbstverständlich für die Regierung und vor allem die CSV nicht die besten Voraussetzungen, um sich nächstes Jahr den Wahlen zu stellen. Doch die Erfahrung lehrte auch Premier Jean-Claude Juncker, dass, erstens, hierzulande Wahlen fast immer über soziapolitische Fragen entschieden werden, vom Index bis zu den Renten, und, zweitens, dass sich die Zuneigung des Wählers mit nichts leichter kaufen lässt als mit einer kleinen Senkung der Steuerlast.

Also wies der Regierungschef gestern Nachmittag so nebenbei Gerüchte zurück, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommen könnte, wenn er zum Jahresende sein nationales Amt zugunsten des Vorsitzes des Europäischen Rats aufgäbe. Und kündigte pünktlich für den 1. Januar des Wahl­jahres 2009 an, dass die Steuertabelle um weitere sechs Prozent an die Inflation angepasst wird, einzelne Steuerfreibeträge, beispielsweise für Versicherungsprämien, erhöht werden, sowie der Arbeitnehmerfreibetrag durch einen „Steuerbonus“, ähnlich dem Kinderbonus, ersetzt wird.Statt der vor jedem Wahlgang auch gerne gesehenen Kindergelderhöhung sollen Familien Gutscheine zur Bezahlung der Kinderbetreuung erhalten. Des weiteren sollen die Steuerabschläge für Alleinerziehende, Rentner und verschuldete Eigenheimbesitzer durch Steuer­kre­dite ersetzt werden. Am 1. Ja­nuar, wenn der leicht missratene Kinderbonus monatlich ausgezahlt wird, werden, wie es das Gesetz vorsieht, der Mindestlohn, die Renten sowie die Pensionen angepasst, und der Heizkostenzuschuss für Haushalte mit niedrigen Einkommen wird verdoppelt.

Auch die Unternehmer sollen nicht leer ausgehen und darüber hinweggetröstet werden, dass der Premier feierlich ankündigte, was bereits im ersten Artikel des Tripartitegesetzes vom 27. Juni 2006 steht: Dass das Indexgesetz von 1963 und damit die automatischen Indexanpassungen nach 2009 wieder in Kraft sind. Die für 2010 vorgesehene Abschaffung der Gesellschaftssteuer soll auf nächstes Jahr vorverlegt und die derzeit mit 29,6 Prozent angegebene Gesamtsteuerlast der Betriebe soll gesenkt werden – bis auf 25,5 Prozent unter einer nächsten Regierung.

Solchen kleinen Geschenken, die die Freundschaft erhalten, hat die Opposition erfahrungsgemäß wenig Handfestes entgegenzusetzen. Auch wenn einige der angekündigten Steuerkredite nur wenig mehr kosten als der derzeitige Streuerausfall durch die Abschläge, die sie ersetzen. Trotzdem gibt der Finanzminister im Wahljahr insgesamt eine großzügige Runde aus. Obwohl er dem Parlament auch mitteilen musste, dass die Körperschaftssteuer und die Abonnementtaxe schon dabei sind, im laufenden Jahr „stark“ zu fallen und ein Ende der Finanzkrise nicht abzusehen ist.

Romain Hilgert
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