ZUFALLSGESPRÄCH MIT DEM MANN IN DER EISENBAHN

In den Iden des März

d'Lëtzebuerger Land vom 02.04.2021

In einer Revolution begehrt ein großer Teil der Bevölkerung auf, um die Verhältnisse zu ändern. Mit einem Putsch versucht eine kleine Gruppe, die Macht zu übernehmen.

Der Sturz des CSV-Vorsitzenden Frank Engel am 16. März war nicht das Ergebnis einer Revolution. Das Parteivolk erfuhr von den Vorgängen an der Spitze seiner Partei aus dem Radio. Obwohl es um den Präsidenten der Partei und nicht der Fraktion ging, wurde sein Sturz nicht im Parteivorstand, sondern in der Parlamentsfraktion angezettelt.

Die Fraktion hatte ein juristisches Papier gegen den Parteivorsitzenden bestellt: „Good Cinna, take this Paper, / And looke you lay it in the Pretors Chayre, / Where Brutus may but finde it“ (Shakespære, The Tragedie of Julius Cæsar, I.3). Im Papier las sie: „Der Fisch stinkt vom Kopf.“ Dann erstattete sie Strafanzeige gegen ihren Parteipräsidenten.

Es gibt verschiedene Formen von Putschen. Dazu zählen der Militärputsch, das Pronunciamiento, der Staatsstreich, der konstitutionelle Putsch, der Autogolpe, der sanfte Staatsstreich, die Palastrevolte und andere mehr. Bei einer Palastrevolte komplottieren Leute aus seinem engen Umfeld gegen einen Herrscher und stürzen ihn. Der Putsch gegen den Vorsitzenden der CSV gehört in die Kategorie der Palastrevolten. Er wurde von Leuten ausgeheckt, die den Parteipräsidenten im Nationalkomitee der CSV umgaben.

Die Anstifter einer Palastrevolte sind meist anspruchslos. Sie wollen nicht die Verhältnisse ändern, sondern an die Macht kommen. Der Rest kann bleiben, wie er war. Deshalb ersetzen sie den gestürzten Herrscher nicht selten durch einen ihrer Altgedienten. In ihm sehen die Drahtzieher keinen Rivalen. Die CSV-Fraktion denkt an den gescheiterten Spitzendkandidaten Claude Wiseler.

Palastrevolten geschehen entweder blutig oder durch Intrigen. Die Fraktion wollte den Parteipräsidenten nur politisch vernichten. Deshalb wählte sie die Intrige. Sie warf ihm vor, ein halbes Jahr lang ein unspektakuläres Gehalt vom Immobilienverein der CSV bezogen zu haben. Jenes Gehalt, das sie ihm nicht als Parteifunktionär gönnte. Fraktionsvorsitzende Martine Hansen will sich nie gefragt haben, wovon der Präsident lebte. Sie war „zimlech aus alle Wolleke gefall“, beteuerte sie gegenüber RTL am 17. März.

Seit einem Jahrhundert pflegt die Rechtspartei, ihre schmutzige Wäsche in der Familie zu waschen. Wie immer hätte man die Sache mit einem Arrangement im Freundeskreis aus der Welt schaffen können. Und sei es nur, um Schatzmeister André Martins Dias und Ex-Generalsekretär Felix Eischen nicht als Komplizen erscheinen zu lassen. Sie hatten Engels Arbeitsvertrag unterschrieben. Die Fraktion zog es vor, mit einer Strafanzeige einen öffentlichen Skandal zu inszenieren: Ein der Veruntreuung und Fälschung Bezichtigter kann sich nicht an der Spitze der Partei halten.

48 Stunden nach der Wahlniederlage 2018 sollten die Abgeordneten Serge Wilmes zum Parteipräsidenten und Martine Hansen zur Fraktionspräsidentin gekürt werden. Parteistatuten hin oder her. Das verhinderte unter anderem Michel Wolter. Da lag die Macht auf der Straße: Auf dem verzweifelten Kongress 2019 kam es zu einer Kampfabstimmung. Frank Engel versprach schneidige Opposition und setzte sich knapp gegen den unverbindlichen Serge Wilmes durch.

Nun hatte Frank Engel angekündigt, Ende April erneut zu kandidieren. Er verschickte gleich ein nationalliberales Wahlprogramm an alle Parteimitglieder. Doch während der kommenden Amtszeit wird der Spitzenkandidat und vielleicht nächste Premierminister bestimmt. Auch das traute sich Frank Engel zu. Da hörte für die Fraktion der Spaß auf. Sie hatte ein leichtes Spiel. Bis heute nahm niemand im Parteiapparat Engel öffentlich in Schutz, keiner der 287 Parteitagsdelegierten, die ihn vor zwei Jahren gewählt hatten. Der große Einzelkämpfer hielt sich für einen virtuosen Strategen. Vielleicht ändert er nun seine Meinung.

Romain Hilgert
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