Villeroy & Boch

Au revoir, Vieux Luxembourg

d'Lëtzebuerger Land vom 26.03.2009

Mittwoch 10.30. Im Vormittags-Radio wirbt die Chefin einer Haushaltwarenhandlung mit vorösterlichen Sonderangeboten: ein Kaffeeservice mit Tellern, Tassen und Schüsseln für die „Frühstückszerealien“, insgesamt 56 Stück für nur 49 Euro. Weniger als ein Euro, das Stück? Der Moderator ist begeistert. Von Villeroy [&] Boch allerdings dürfte das Service nicht stammen. Eher von einem wenig bekannten Hersteller mit Produktionsanlage in China. Solches Billigporzellan aus Fernost ist eine der Ursachen, die kürzlich ebenso traditionsreiche Konkurrenten wie Waterford und Rosenthal in die Insolvenz trieben. 

Bevor den Porzellanhersteller aus der Moselgegend das gleiche Schicksal ereilt, strukturiert er um. Vergangenen Freitag wurde bekannt, dass die Produktion in Luxemburg 2010 eingestellt werde. 230 Mitarbeiter verlieren dadurch ihren Job, konzernweit werden 900 Mitarbeiter entlassen. Die Herstellung der Tischkultur-Waren wird auf zwei Produktionsstandorte konzentriert, in Merzig und Torgau. Denn die aktuelle Wirtschaftskrise hat die Probleme, wenn auch nicht provoziert, dann doch verschärft. Im dritten Quartal 2008 fielen die Umsätze im Bereich Tischkultur um fünf Prozent. Dies galt besonders dort, wo die Immobilienmärkte zusammenbrachen, also in Spanien, Großbritannien und den USA, wo V[&]B-Porzellan als absolutes Luxusgut in Kaufhäusern wie Macy’s verkauft wird. 

Fünf Prozent weniger Umsatz, das klingt angesichts der schlimmen Rezession, in der Weltwirtschaft derzeit steckt, nicht besonders dramatisch. Allerdings, sagt Unternehmenssprecherin Almut Hähner-Ural, sei es erst danach richtig schlimm geworden. Wie schlimm, will sie derzeit noch nicht sagen. Nächste Woche werden die Quartalszahlen für das vierte Quartal 2008 zusammen mit derJahresbilanz vorgestellt. Vielleicht ist es ohnehin unerheblich, denn daheim erklärt der Blick in den Küchenschrank meist, dass das eigentliche Problem cheap china aus China ist. Vor allem aber werden die Verantwortlichen von Villeroy nicht müde zu wiederholen, dass die Entscheidung nicht rückgängig gemacht wird, auch wenn sich die Umsatzzahlen erholen sollten, also die Krise vorbei ist. 

Das ist eine bittere Pille für die 230 Angestellten der Luxemburger Produktion, denen damit jegliche Aussicht genommen wird, durch gesteigerten Arbeitseinsatz oder finanzielle Zugeständnisse ihren Arbeitsplatz doch noch zu retten. Schwer nachvollziehbar ist die Entscheidung zudem, weil seit 2003 20 Millionen Euro in den Standort Luxemburg investiert wurden und dieser in den vergangenen Jahren durchaus Gewinne verbuchte. Rund 3,6 Millionen Euro waren es 2007. Nur 2006, als man die Kosten für den damaligen Sozialplan auf der Bilanz hatte, schrieb Villeroy[&]Boch Faïencerie de Septfontaines-Lez-Luxembourg tiefrote Zahlen. Außerdem ließ das lokale Management beim ihrem ersten Treffen Mit den Gewerkschaftennach der Ankündigung durchblicken, man fände es durchaus wünschenswert, wenn verschiedene Mitarbeiter noch Überstunden schieben würden. Daher verlangen die Gewerkschaftsvertreter, darunter Alain Mattioli, OGBL, für die nächste Sitzung erst einmal eindeutiges Zahlenmaterial. Richtig sauer ist er aber vor allem, weil man die Mitteilungen des Unternehmens vom vergangenen Freitag allgemein so verstanden hatte, als ob vor 2010 niemand entlassen werde würde. Dem sei aber nicht unbedingt so, erfuhren die Arbeitnehmervertreter am Mittwoch. Mitarbeiter, die nicht in der Produktion tätig sind, könnten auch schon vorher ein Kündigungsschreiben erhalten. 

Dennoch wollen beide Seiten zumindest über das Erstellen eines Beschäftigungsplans verhandeln. „Es gibt noch einige Industrieunternehmen, die einstellen“, so Mattioli. Damit die Villeroy-Arbeiter und Arbeiterinnen anderswo einen Job finden können, müssten sie aber erst einmal umgeschult werden, sagt er. Der Altersdurchschnitt der Angestellten ist hoch. Viele hätten dort mit 15 Jahren angefangen, seien nach 35 Jahren Schichtdienst, fachkundige Porzellanhersteller verfügten aber über wenig andere Kenntnisse – und stehen nun fünf Jahre bevor sie ein Anrecht auf Vorruhestand hätten, vor dem beruflichen Aus.

Villeroy[&]Boch-Manager Charles-Antoine De Theux sagte RTL Telé Lëtzebuerg, im Schloss von Siewebueren und dem dazugehöri­gen Park wolle man ein V[&]B Erlebnis-Zentrum einrichten. Auch ohne factory soll zur Erlebniswelt ein factory-outlet gehören. Deswegen hoffen die Gewerkschaften, dass sich die Firmenleitung doch noch dazu bewegen lässt, die Angestellten, die kurz vor der Rente stehen oder deren Lebenspartner ebenfalls bei der Firma in Lohn und Brot stehen, auf dem Grundstück weiterzubeschäftigen. 

Über die Immobilien sprachen die Sozialpartner am Mittwoch nicht. Pressesprecherin Almut Hähner-Ural bestätigte auf Nachfrage, bisher seien weder Teile der Anlage verkauft, noch irgendwelche Anträge für Änderun­gen des Flächennutzungsplan bei der Stadt Luxemburg beantragt worden. Ein Verkauf der Produktionshallen zwecks Refinanzierung sei aber geplant und die Errichtung einer Wohnanlage findet man beim Porzellanhersteller Villeroy aus städtebaulicher Sicht wegen der guten Lage durchaus interessant. Ein lukratives Immobiliengeschäft sei keinesfalls der Grund für die Schließung, beharrte De Theux vor laufender Kamera. In der Tat stehen manche der Hallen schon seit über drei Jahren leer. Hätte man damals, als die Immobilien- und Grundstückspreise noch höher waren als jetzt, eine Verkaufsvereinbarung mit einem Bauträger abgeschlossen, hätte man sicher mehr für die Brachen kassieren können. 

Sollte sich aber auf Basis der Dokumentation, die das Unternehmen den Gewerkschaften in den nächsten Wochen vorlegen wird, heraustellen, dass die Maschinen in Luxem­burg ausgelastet und nicht nur die Shops im Stadtzentrum profitabel waren, werden die Immobilienprojekte bei vielen Beobachtern Verbitterung provozieren. Dann könnte nämlich der Verdacht entstehen, dass, wenn die Immobilienpläne nicht Anlass des Schließungsvorhaben waren, sie vielleicht aber dazu beigetrugen, dass Luxemburg nicht als eines der beiden Kompetenzzentren zurückbehalten wurde, sondern Merzig und Torgau, wo die Grundstückspreise deutlich niedriger sein dürften als in der Nähe der Stadt Luxemburg. Das würde die Gewerkschaft in ihrer Ansicht, der börsennotierte Konzern Villeroy[&]Boch, der in den ersten neun Monaten 2008 ein Konzernergebnis von 6,5 Millionen Euro verzeichnete (2007: 9,0 Mio.), opfere seine soziale Verantwortung auf dem Altar der shareholder value, weiter bestätigen.

Die Luxemburger Porzellanmanufaktur ist aber nicht der einzige Wirtschaftszweig, der für Schreckensschlagzeilen sorgt. In der Luftfahrt läuten ebenfalls die Alarmglocken. Derart, dass sich Luxair-Sprecher Marc Gerges vergangenen Freitag gezwungen sah, live im Radio zu dementieren, man sei dabei, einen Sozialplan auszuarbeiten. Dazu wurde noch die Angst vor Entlassungen bei der Frachtgesellschaft Cargolux geschürt. Was dazu führte, dass sich Transportminister Lucien Lux (LSAP), wohl vom wahlkämpferischen Übermut beschwingt, von Vertretern der Gewerkschaft OGBL dazu verleiten ließ, zu bestätigen, es gäbe weder Anlass über Sozial-, noch Beschäftigungspläne zu diskutieren und damit indirekt Beschäftigungsgarantien versprach. Versprechen, die eigentlich nur die jeweilige Firmenleitung geben kann. Fakt ist aber: Beide Gesellschaften sind angeschlagen. Die Luxair-Geschäftslinie Airline verbuchte in den ersten beiden Monaten im Vergleich zum Vorjahr einen Umsatzrückgang von 20 Prozent, LuxairTours verzeichnet derzeit gegenüber dem vergangenem Jahr einen Buchungsrückstand von 19 Prozent und im Cargogeschäft gab es im vierten Quartal 2008 – normalerweise Hochsaison – Einbrüche zwischen 20 und 25 Prozent. Im Januar und Februar sieht es im Jahresvergleich ähnlich schlecht aus. Deswegen hat die Fluggesellschaft im Cargo-Zentrum aufgehört, auf Zeitarbeitskräfte und solche mit befristeten Verträgen zurückzugreifen. Jobverluste hat es demnach bereits gegeben. Auch wenn die feste Belegschaft davon nicht betroffen war.

Bisher bleibt keine Luxair-Maschine am Boden und es ist im Gegensatz zu anderen Jahren augenblicklich kein Flugzeug verleast. Es gebe keine Pläne, Flugdestinationen zu streichen,so Unternehmenssprecher Yves Hoffmann gegenüber dem Land. Möglich sei hingegen, dass man einige nicht mehr so oft anfliegen werde, damit die Auslastung auf den verbleibenden Flüge steige. Schon jetzt habe man versucht, alle Zulieferverträge neu zu verhandeln, um so die Kosten zu senken. Am Mittwoch entschieden die Sozialpartner paritätische Arbeitsgruppen einzurichten, um gemeinsam zu überlegen, wo sonst noch gespart werden könnte. Denn das Schrecksszenario der Finanzabteilung sagt bei unveränderten Kosten einen Verlust von 12 Millionen Euro für das Jahr 2009 voraus. Wie das im Vergleich zu den fast 20 Millionen Euro Gewinn zu bewerten ist, die Luxair 2007 einfahren konnte? Immerhin hat sie davon über 14 Millionen in verschiedene Reserven gelegt.

Trotz des enormen Preisdrucks, der auf der gesamten Luftfrachtbranche liegt, hat auch die Cargolux bisher keine ihrer 747-400 aus dem Flugbetrieb genommen. So lange das der Fall ist, verändert sich an der Anzahl der benötigten Mitarbeiter wenig. Vielmehr hofft Cargolux-Sprecher Jeannot Erpelding, dass sich das Angebot langsam wieder an die Nachfrage anpasse, da einige Konkurrenten dabei seien, Kapazitäten aus dem Markt zu nehmen, sprich Flugzeuge am Boden lassen. Hoffen tut man deshalb auch, dass sich die Preise irgendwann erholen werden. Denn die Cargolux hat in den ersten beiden Monaten des Jahres einen Verlust von 31 Millionen Dollar verzeichnet, und auch für die Frachtgesellschaft stellt sich die Frage, wie lange sie das durchhalten kann. Die Gesellschaft verfügt zwar über hohe Reserven – 2007 stellte sie ihren gesamten operativen Gewinn von 155 Millionen Dollar zurück. Doch die Millionen braucht die Firma, um bevorstehende Kartellstrafen in den USA, der EU und anderen Ländern zu begleichen. 

Das vergangene Jahr konnte Cargolux mit einem positiven operativen Ergebnis abschließen, sagt Erpelding. Es liegt auf der Hand, dass auch diesmal der Gewinn in Erwartung der Bußgelder vorsorglich auf die hohe Kante gelegt wird. Deswegen werden sich auch bei der Cargolux die Sozialpartner wieder zusammensetzen, um gemeinsam zu überlegen, wie man Kosten einsparen kann, ohne Personal zu entlassen. Ob man das nun als Vorbereitung für einen Beschäftigungsplan verstehen will, kann oder soll?

Dass es zwischen einem Sozial- und einem Beschäftigungsplan einen Unterschied gibt, versuchte auch Arbeitsminister François Biltgen (CSV) am Mittwoch nach der Sitzung des Konjunkturkomitees in Erinnerung zu rufen. Dort hatten er und Wirtschaftsminister Jeannot Krecké (LSAP) wenig Positives zu verlautbaren. Die Arbeitslosenrate stieg unter Berücksichtigung der Arbeitssuchenden, die in einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme betreut werden, auch im Februar weiter auf 6,4 Prozent. Von 135 Firmenanträgen zur Genehmigung von Kurzarbeit, behielt das Komitee 108 zurück. Über 10 000 Arbeitnehmer könnten demnach nächsten Monat kurzarbeiten. Kostenpunkt: knapp unter 14 Millionen Euro. 

In der Industrie stelle man indes eine gewisse Stabilisierung fest, versuchte Krecké ein wenig Optimismus zu verbreiten. Neue Anträge auf Kurzarbeit kämen mittlerweile vermehrt aus anderen Branchen, denen man bisher eine Abfuhr erteilt habe. Die Mittelflüsse in der Investmentfondsbranche würden ei­ne positive Entwicklung andeuten, so Krecké weiter. Ob ein Stimmungswechsel schon gestattet ist, bleibt aber fraglich, denn neue Anfragen aus der Industrie sind derzeit eher deshalb selten, weil die meisten Industrieunternehmen ohnehin kurzarbeiten. Im Transportwesen konnten sich die Sozialpartner zwar nicht auf ein Rahmenabkommen einigen, zwei Transportfirmen, die zusammen 260 Mitarbeiter beschäftigen, haben aber beim Arbeitsminister bereits einen Beschäftigungsplan eingereicht, um auf diesem Weg Kurzarbeit zu beantragen. Weitere werden folgen. Im vierten Quartal 2008 wurden 30 Prozent weniger Baugenehmigungen ausgestellt als noch im dritten Quartal. Deswegen befürchtet Krecké eine zeitlich verschobene Zuspitzung der Krise in der Baubranche, wenn diese erstmals ihre Auftragsbücher aufgearbeitet hat.

Ob die schlechten Neuigkeiten von Villeroy[&]Boch und aus der Luftfahrtbranche daher auf eine aktuelle Zuspitzung der Wirtschaftskrise in Luxemburg hindeuten oder, ob die Nachrichtenlage mit der reellen Situation in den Unternehmen aufholt, wird sich zeigen, wenn das statistische Amt Statec in den kommenden Wochen die Konjunkturdaten für das vierte Quartal 2008 vorstellt und ihre Vorhersagen fürdie ersten drei korrigiert.  

Michèle Sinner
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