Alexandra Schoos zog am Dienstag in die Chamber ein. Ihre politische Suchbewegung scheint noch nicht abgeschlossen

„Kucke wat leeft“

Alexandra Schoos mit Tom Weidig (l.) und Fernand Kartheiser
Photo: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land du 27.10.2023

Seit 2014 ist Alexandra (Lexy) Schoos Mitglied der ADR. Es scheint eine nicht besonders durchdachte Entscheidung gewesen zu sein. Nach ihrem Tierarztstudium wollte sie den Anschluss finden, Leute kennenlernen, und „kucke wat leeft a mol rem méi matkréien“, schildert sie den Entschluss. Doch dann zog sie wieder von Berdorf an die Universität Wien, um eine Promotion zu absolvieren. „Ich habe zu Brustkrebs geforscht – auf Grundlage von Hunde-Zellkulturen. Die Ergebnisse aus diesen Zellkulturen kann man jedoch auf den menschlichen Organismus übertragen.“ In Gent ist sie anschließend eine Fachtierarztausbildung in Schweinemedizin angegangen. Vor drei Jahren landete sie wieder in Berdorf – eher zufällig als geplant, wie sie umschreibt. Den parteipolitischen Standby-Modus schaltete sie aus, schloss sich dem Exekutiv- und Nationalkomitee der ADR an und wurde letztes Jahr zur Vizepräsidentin gewählt. Beruflich veränderte sich einiges, aber sie legte keine 180 Grad-Wendung hin: Sie beginnt in Düdelingen im Staatslabor für Veterinärmedizin Analysen von Lebensmitteln durchzuführen. Ihr Vater ist der ehemalige ADR-Präsident Jean Schoos, der ebenfalls Tierarzt ist und die Déirepraxis Mëllerdall leitet. „Ich bin als Kind in einem regelrechten Zoo aufgewachsen; zwischen Meerschweinschen, Hunden und Shetlandponys war immer was los.“ Politik war in ihrer Kindheit hingegen kaum Thema, wenngleich ihr Vater CSV-Mitglied war. Erst als er 2013 ADR-Präsident wurde, diskutierte sie mit ihm über Politik. Im Osten wurde Alexandra Schoos nun Erstgewählte, ihr Vater kam auf Platz drei. Sie erhielt 4 295 Stimmen, damit lag sie weit vor dem Zweitgewählten, Roby Beissel, Bürgermeister von Stadtbredimus.

Lexy Schoos hat an diesem Dienstagmorgen vor ihrer Vereidigung als Abgeordnete eine zuvorkommende Art, einen wachen Blick und ist spontan – wirft gelegentlich einen „oh Freck“ in den Raum. Sie isst einen Granola-Müsli und trinkt einen Matcha-Latte in einer Kaffeebar am Hamilius. In ihrer Freizeit geht sie mit ihrem Border Terrier laufen. „Komplett fir de Spaß“, nicht um Wettbewerbe zu gewinnen. Sie engagiert sich mittlerweile aber als Trainerin in einem Laufverein. Und besucht wenn möglich ihren Freund in Gent. Wo sie politisch hinsteuern will, weiß Lexy Schoos noch nicht genau. Die Themenfelder Landwirtschaft und Gesundheitswesen interessieren sie. Sie frage sich beispielsweise, wie man die medizinische Forschung unterstützen könnte und wie ein Militärspital diese hierzulande voranbringen könnte. In der Corona-Pandemie schloss sie sich nicht dem impfskeptischen Duktus der Partei an und postete auf Facebook „Ech si geimpft“. Für Landwirt/innen würde sie administrative Aufgaben vereinfachen und die Datenverwaltung zentralisieren. Sie wolle sich aber nicht für eine bestimmte Art von Landwirtschaft einsetzen und folgt der Parteilinie: „Die ADR sagt klar, man muss den Landwirten die Wahl lassen, ob sie konventionelle oder biologische Landwirtschaft betreiben will.“ Über politische Lenkungsinstrumente, wie Subventionen und deren Reform, hat sich Lexy Schoos noch keine Gedanken gemacht. Vieles hänge am Konsumenten und an seiner Wahl, meint sie. „Außerdem brauchen wir bessere Sanktionierungs- und Kontrollmöglichkeiten im Tierschutzbereich.“ Manchmal fehlten allerdings die Handlungsoptionen: In Luxemburg sind kupierte Hundeohren beispielsweise verboten, aber man könne den Besitzern solcher Hunde nicht einfach den Vierbeiner wegnehmen, führt Schoos aus.

Dass man als Abgeordnete einer bestimmten Partei, vor allem seine Partei in den Vordergrund stellen muss, fällt der 35-Jährigen (noch) schwer. So verweist sie im Gespräch auf Jeff Boonen, der landwirtschaftsbezogene Fragen besser beantworten könnte als sie. Der Agrarwissenschaftler wird bald auf der CSV-Bank in die Chamber nachrücken. Sie kennt ihn schon länger und pflegt eine gewisse Sympathie für ihn. Lexy Schoos meint, alle 60 Abgeordneten würden ähnliche Ziele verfolgen, nur die vorgeschlagenen Wege seien anders. „Ich habe Lust, gemeinsam mit anderen Parteien zusammenzuarbeiten; es soll sich nicht alles um die Parteikarte drehen.“ Neben Jeff Boonen kennt sie bereits Paul Galles (CSV), der in ihrer Sekundarschule, der Privatschule Fiedlgen, Kaplan war und Carole Hartmann vom Tisch-Tennis. Die Grüne Nochministerin Sam Tanson inspiriere sie: Nach den Wahlen habe sie im Radio darüber gesprochen, wie anstrengend es ist, ein politisches Mandat mit einem Familienleben zu vereinen – sie sei einfach ehrlich. „Zugleich blieb sie sich selbst treu. Ihre Persönlichkeit hat sich nicht durch hohe politische Mandate verändert.“ Auch Lexy Schoos hofft, dass die Politik sie nicht zu stark verändern wird. Ihre Abgeordnetenkollegen Fred Keup, Fernand Kartheiser, Jeff Engelen und Tom Weidig hat sie bisher nicht außerhalb von Parteisitzungen getroffen, „aber wahrscheinlich wird sich das jetzt öfter ergeben“.

Mit Fred Keup führe nun ein junger Politiker die Partei und Fraktion. Er bringe eine neue Dynamik in die ADR, die häufig als Altherrenpartei bezeichnet wurde, urteilt sie. Mit ihm stimmt sie insbesondere in der Bildungspolitik überein. „Ich lebte lange Zeit im Ausland und jetzt höre ich von Lehrpersonal, dass im manchen Klassen nur noch ein Kind die luxemburgische Sprache beherrscht.“ Aber eine französische Alphabetisierung könne nicht die Lösung sein. Einerseits weil viele ausländische Kinder nicht frankophon sind, andererseits weil wir sonst Zustände wie in der Schweiz bekommen, wo sich Einwohner eines gleichen Staates entlang von Sprachen voneinander abgrenzen, führt die Abgeordnete aus. Unbestreitbar sei aber, dass man sich in keiner Sprache so gut ausdrücken kann, wie in seiner Muttersprache. Deshalb habe sie in Gent Flämisch gelernt, damit ihre Studierenden ihre Fragen nicht auf Englisch stellen müssen. Für sie ist das jedoch kein Argument, um nicht-luxemburgisch sprechenden Kindern entgegenzukommen. „Denn dann müsste man auch luxemburgischen Schülern mit schlechten Französisch-Kenntnissen alternative Lehrpläne anbieten.“ Man könne nicht ständig die Standards senken. Ganz sicher ist sie sich ihres Standpunktes allerdings nicht: „Wann ech elo als Deputéiert méi Zäit hunn, fir mat Leit vum Terrain ze schwätzen, da kann ech mer zu där Fro nach ee bessert Bild maachen.“

Darüber hinaus steht sie hinter der ADR-Forderung nach einem Referendum über den 1 Millionen-Einwohner-Staat. In den vor einem solchen Referendum stattfindenden Debatten sollten alle Vor- und Nachteile ausgelotet werden, die mit einer Wachstumsbegrenzung zusammenhängen. In einem vom Luxemburger Wort organisierten Rundtischgespräch sagte die Berdorferin, die ADR wolle die „Luxemburger“ fragen, ob „sie Shanghai anstreben wollen, oder ob Luxemburg bestehen bleiben soll“. Sollten sich die Einwohner gegen zusätzliches Wachstum aussprechen, will die ADR laut ihrem Programm in punkto Renten eine Beitragserhöhung von acht auf neun Prozent und eine freiwillige Erhöhung des Rentenalters. „Der Dorfkern meiner Kindheit existiert nicht mehr“, sagt Alexandra Schoos mit Blick auf Berdorf und wachstumsbedingte Veränderungen. „Aber ich will nicht alles schlecht reden. Es kann auch interessant sein, wenn neue Leute in ein Dorf einziehen“. Sie besitze keine „goldene Lösung“ und sei keine Wirtschaftsexpertin, mäandert Schoos durch das Wachstumsthema. Wenn sie wie durch Zauberhand politische Konflikte ausradieren könnte, dann würde sie Kriege beenden. Aber leider sei es menschlich, dass es zu Konflikten komme. Wie analysiert sie die derzeitigen Entwicklungen in einem Kontext der sich verschärfenden Klimaextreme und Wasserknappheit – werden sich die Konfliktherde weltweit weiter zuspitzen? Lexy Schoos weicht geopolitischen Überlegungen aus und erinnert sich an die Überschwemmungen in Berdorf im Juli 2021: „In Krisensituationen rücken Menschen wieder zusammen. Nachbarn haben sich gegenseitig geholfen, ihre Keller wieder aufzuräumen.“ Sie glaubt: „Es gab schon immer einen Klimawandel, auch in der Eiszeit. Das ist kein neues Phänomen.“ Mit den Berichten des Weltklimarats hat sie sich noch nicht befasst, aber falls das Thema eine Rolle spielt, in einer Kommission, der sie beitritt, lese sie sich ein. Am Dienstagnachmittag warteten rund zehn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf die vor drei Wochen gewählten Abgeordneten vor der Chamber, um mit ihnen über ökologische Herausforderungen zu reden. 18 Abgeordnete kamen dabei mit den Forschern des Luxembourg Institute of Science and Technology und dem Museum für Naturgeschichte ins Gespräch. Die ADR-Abgeordneten vermieden jedoch allesamt den Austausch.

Lexy Schoos nennt sich eine leidenschaftliche Naturwissenschaftlerin. Hat sie Vorbilder, die naturwissenschaftliche Themen einem breiteren Publikum zugänglich machen – wie Ranga Yogeshwar oder Sabine Hossenfelder (die einmal Tom Weidig auf Twitter sagte, „you can’t even proberly quote three words but want to correct what I told you about my own experience? That’s an achievement even for mansplainers)? Die Tierärztin antwortet, sie könne da wirklich niemanden nennen. Und sie könne auch nicht sagen, welche Forscher/in sie intellektuell stimuliere. „Ich bewundere allerdings meine Doktormutter, sie ist eine Powerfrau. Ihrer Art und Weise eifere ich nach“. Vor allem aber bewundert sie ihren Vater, der nach seinem Studium eine spartanisch eingerichtete Praxis in seiner Garage eröffnete und diese nach und nach ausbaute. Sie wolle jedoch keine Vom-Tellerwäscher-zum-Unternehmer-Geschichte erzählen. Ihr Großvater ist der auf das Spätmittleralter spezialisierte Historiker Jean Schoos, der an deutschen und französischen Universitäten lehrte, Komtur des päpstlichen Gregoriusordens war und von 1972 bis 1986 großherzogliche Güter verwaltete. Auch ihre Mutter, eine Kieferorthopädin, stamme aus bürgerlichen Verhältnissen.

Mir gi Lëtzebuerg net op – Auflösungserscheinungen einer kleinen Nation habe sie noch nicht gelesen. Die beiden Autoren Fred Keup und Tom Weidig vertreten darin die These, der Zerfall einer angeblich ehemals einheitlichen nationalen Identität sei durch die Erosion der katholischen Kirche, die Schwächung der Monarchie sowie die Verdrängung der luxemburgischen Sprache „aus dem Alltag“ bedingt. „Aber es liegt bei mir zu Hause“, sagt die ADR-Abgeordnete. Sie sucht nach Worten, will das Thema abhaken: Das Buch hätten ihre Parteikollegen auf private Initiative hin verfasst. Da müsse man ihr zufolge klar differenzieren. Als ein altes Foto von Ost-Kandidat Alain Vossen mit SS-Runen auftauchte und Nazi-Vorwürfe auf die Partei hereinprasselten, hatte Lexy Schoos „Magenkrämpfe“, wie sie gegenüber dem Tageblatt mitteilte. Mit Rechtsextremismus wolle sie nichts zu tun haben.

Sie hat das Buch ihrer beiden Abgeordneten-Kollegen also nicht gelesen. Wo holt sie sich Denkanstöße, politische Ideale und Gesellschaftsanalysen her? Wo informiert sie sich? Neben der Lektüre von naturwissenschaftlichen Fachartikeln, lese sie vor allem Unterhaltungskrimis. Bei Gelegenheit blättere sie jedoch durch das Wort, Tageblatt und die Revue. Hierbei interessiere sie vor allem „was im Osten gerade los ist“ – in den Ortschaften, die sie kennt. Im Radio 100,7 meinte sie vor zwei Wochen: „Et bedeit mir eppes, dat ech déi éischt Fra fir d’ADR an der Chamber sinn. Et ass gutt, dat ech déi Ekipp opmëschen. Vläicht kritt den Haer Keup e puer gro Hoer méi duerch mech.“ Am Dienstag meinte sie, vielleicht kriege aber auch sie ein paar graue Haare durch den Austausch mit Keup. Womöglich wird der Austausch nicht besonders lange anhalten.

Stéphanie Majerus
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