Vorrechte des Großherzogs

Juncker for President?

d'Lëtzebuerger Land du 11.12.2008

Gestern stimmte die Abgeordnetenkammer in erster Lesung bei nur einer Stimmenthaltung der Änderung von Verfassungsartikel 34 zu. So dass in dem bemerkenswert kur­zen Zeitraum von nur elf Tagen eine Verfassungsänderung ihren Weg vom Depot im Parlament über das Staatsratsgutachten und die Abstimmung im Ausschuss bis zur ersten Lesung nahm. Die zweite wird voraussichtlich am 12. März 2009 stattfinden.

Im parlamentarischen Verfassungsausschuss hat inzwischen die Diskussion über die „große“ Verfassungsreform wieder begonnen. Eigentlich war sie schon fast abgeschlossen: Nach­dem kurz vor Ende der vorigen Legislaturperiode so gut wie alle Verfassungsartikel zur Revision frei gegeben worden waren, hatte der Ausschuss in vier Jahre langer, sehr diskreter Arbeit versucht, die Verfassungskapitel neu zu ordnen, und auch eine ganze Reihe neuer Regelungen über Rolle und Funktion des Monarchen formuliert. 

Ausschussintern gab es darüber bereits einen Konsens, und der Ausschussvorsitzende Paul-Henri Meyers (CSV) wollte den Verfassungsreformentwurf Anfang kommenden Jahres vorlegen.Die plötzlich publik gewordene Gewissensnot des Großherzogs, womöglich ein Euthanasiegesetz unterschreiben und durch Sanktion gutheißen zu müssen, hat nicht nur das Timing durcheinander gebracht, sondern die Frage: „Wie entstehen Gesetze, wie werden sie in Kraft gesetzt?“ erneut aufgeworfen.  

Dabei hatte der Ausschuss sich, was die Monarchie angeht, längst nicht nur mit Fragen befasst wie etwa der Thronfolgeregelung, die geändert werden soll: Bislang gilt allein der von 1783 datierende Nassauer Familienpakt, der erstgeborene Männer automatisch zu Großherzögen macht. Künftig soll die Verfassung festschreiben, dass für die Thronfolge keinerlei Geschlechtsunterschied mehr gemacht werden darf.

Verfassungsartikel 34 hatte den Ausschuss ebenfalls beschäftigt, vor anderthalb Jahren schon. Allerdings ging sein Änderungsvorschlag, der ganz ähnlich lautete wie der jetzt diskutierte, damals nicht nur dem Hof noch zu weit. Auch innerhalb der CSV stieß er auf Widerstand, und so beschloss man, dem Großherzog das Sanktionsvorrecht nicht zu nehmen – falls der Monarch die Unterschrift unter ein Gesetz jedoch ablehnen würde, sollte nach einer Frist von drei Monaten die Abgeordnetenkammer den Text in Kraft setzen.

Die Änderung von Artikel 34 stellt aber andere ebenfalls in Frage. Ginge es nach dem Staatsrat und dessen Gutachten vom Dienstag, müsste auch Artikel 46 umgehend geändert werden: „L’assentiment de la Cham-bre des Députés est requise pour toute loi.“ Denn liege bei Wegfall des Sanktionsrechts des Staatschefs die legislative Gewalt endgültig beim Parlament, könne man nicht suggerieren, es teile diese Zuständigkeit weiterhin mit irgendjemandem.

Der Verfassungsausschuss dagegen will sämtliche Artikel, die von der Änderung des vierunddreißigsten irgendwie betroffen sind, gemeinsam diskutieren. Dass Artikel 47 neu gefasst werden soll, war unter den Parlamentariern bisher schon acquis: „Le Grand-Duc adresse à la Chambre les propositions ou projets de lois qu’il veut soumettre à son adoption. La Chambre a le droit de proposer au Grand-Duc des projets de lois.“

Ein solches, wenngleich in der Praxis nur symbolisches legislatives Initiativrecht soll der Staatschef künftig nicht mehr haben. Die Probleme von Großherzog Henri mit dem Euthanasiegesetz verdeutlichen das: Ein Staatschef, der ein Gesetz nach dessen Verabschiedung nicht sanktionieren will, könnte – im Prinzip – auch verhindern, dass ein ihm nicht geneh­mer Entwurf für ein Gesetz überhaupt auf den Instanzenweg gelangt, indem er ihm das arrêté grand-ducal de dépot verweigert. Statt im Auftrag des Großherzogs, könnte in Zukunft der jeweils zuständige Minister einen Gesetzentwurf im Auftrag des Regierungsrats beim Parlament einreichen, meinte die Verfassungskommission bereits vor der „Euthanasie-Krise der Institutionen“. 

De jure würde diese Regelung die Regierung stärken. Um die Beziehung zwischen Staatschef, Regierung und Parlament geht es auch bei der nun neu aufgeworfenen Frage, ob der Großherzog nicht auch das Vorrecht zur Promulgation von Gesetzen abgeben sollte. Dass schon aus der am Ende jedes Gesetzestextes obligatorischen großherzoglichen Formel „Mandons et ordonnons que la présente loi soit insérée au Mémorial pour être exécutée par tous ceux qui la chose concerne“ der Schluss gezogen werden könne, der Großherzog habe die Richtigkeit eines Gesetzes nach wie vor zu kontrollieren, fand auch der Staatsrat in seinem Gutachten zur Änderung von Artikel 34.Vom Verfassungsausschuss jetzt diskutierte Alternativen könnten darin bestehen, dass die Regierung die Promulgation von Gesetzen übernimmt oder die Verfassung generell den Premierminister damit beauftragt. Letztere Option ist im Ausschuss recht umstritten, denn sie würde den Premier, der bislang eigentlich als primus inter pares fungiert, zu einer Institution erheben, die noch größer wäre, als sie der derzeitige Erste Minister faktisch ohnehin schon verkörpert: Juncker for President. Weshalb im Moment die LSAP noch mehr als die CSV das Promulgations-Vorrecht beim Großherzog gar nicht so schlecht aufgehoben findet.

Der Staatsrat hat dafür in seinem Gutachten zur Änderung von Artikel 34 bereits einen Begründungsvorschlag gemacht: Sei in Zukunft klar, dass jedes Gesetz ausschließlich nach dem Votum der Abgeordnetenkammer existiert, dann attestiere ihm der Großherzog durch seine Unterschrift nur die Existenz und ordne dessen Ausführung an. Die Promulgation falle dann unter die exekutiven Vollmachten des Staatschefs, die ihm Verfassungsartikel 5 auferlegt. Das ist eine sehr gewichtige Feststellung, auf die in der weiteren Diskussion noch zurückgekommen werden dürfte: Artikel 5 enthält den Amtseid des Staatschefs. Folgte man der Argumentation des Staatrats, käme eine Verletzung der Promulgationspflicht einem Bruch des Eids gleich.

Wie der parlamentarische Verfassungsauschuss das Verhältnis der Institutionen zueinander diskutiert, wird allem Anschein nach aber auch das Verhalten der ADR in den nächsten Monaten nicht unwesentlich bestimmen. Seit dem ersten Votum für „Err-Huss“ am 19. Februar geriert die ehemalige Rentenpartei sich als einzig wahrhaftige Euthanasie-Gegnerin. Seit­­dem bekannt wurde, dass der Großherzog ein Euthanasie-Gesetz nicht durch Sanktion gutheißen würde, hat sie auch die Rolle der Verteidigerin  der Monarchie an sich gerissen. Der Verfassungsausschuss, behauptete ADR-Präsident Robert Mehlen am Montag auf einer Pressekonferenz, habe abgemacht, dass alle Parteien ihre Vorstellungen vom künftigen institutionellen Aufbau in ihre Wahlprogramme schreiben und zu Wahlkampfthemen machen. „Das werden wir auch tun“, sagte Mehlen, und es klang wie eine Drohung.

Dem Vernehmen nach hat der Ausschuss diese Abmachung so nicht getroffen. Auch hat ADR-Vertreter Jacques-Yves Henckes im Ausschuss bisher allen Konsensbeschlüssen zugestimmt. Auch die von Henckes am Montag auf der ADR-Pressekonferenz vorgetragene Forderung, die Rolle des Großherzogs sei zu „festigen“, wurde anschließend vage genug erklärt, um nicht ernst gemeint gewesen zu sein. Die Ausfälle gegen Premier Juncker durch ADR-Generalsekretär Roy Reding („hinterhältige Taktik“) und Gruppenchef Gast Gybérien („Juncker ist ja eigentlich für Euthanasie“) zeigen aber, wie groß die Versuchung ist, am rechten Rand der Wählerschaften auf Stimmenfang zu gehen.

Peter Feist
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