Trier feiert den römischen Kaiser Marc Aurel mit einer großen Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum und Simeonstift

 

Stoisch durch Kriegszeiten

d'Lëtzebuerger Land vom 18.07.2025

Wenige Weisheiten haben die Zeiten so lange überdauert wie die Marc Aurels. Kein Wunder, die Ratgeber- und Selbstoptimierungsliteratur boomt, seine Sprüche und philosophischen Leitsätze, die in etwa 487 Aphorismen auf Altgriechisch gebündelt in seinen Selbstbetrachtungen versammelt sind, sollen so manchen Politiker inspiriert haben. So etwa Altkanzler Helmut Schmidt, dessen Ausgabe der Selbstbetrachtungen mit zahlreichen Bleistiftnotizen in der großen Marc-Aurel-Schau in Trier im Stadtmuseum Simeonstift als Exponat zu finden ist.
Es sind Weisheiten, die bisweilen an Kalendersprüche erinnern, die Aurel als einer der letzten Vertreter des Stoizismus, sorgsam zusammengetragen hat. Etwa: „Was dem Schwarm nicht nützt, nützt auch der Biene nicht.“ (Selbstbetrachtungen VI, 54) oder: „Denke stets auch daran, dass ein glückliches Leben auf ganz wenigen Dingen beruht.“ (Selbstbetrachtungen VII, 67)
Dabei fiel ausgerechnet dem angeblich friedliebenden philosophierenden Kaiser, dem seine 23-jährige Regentschaft ab 161 n. Chr. förmlich in den Schoß gelegt wurde, die Aufgabe zu, zahlreiche Kriege an den Grenzen des Römischen Reichs zu managen. Doch daneben philosophierte er, und das in der Tradition der Stoa, einer griechischen Philosophenschule mit damals rund 400 Jahren Tradition.
Die große rheinland-pfälzische Landesausstellung „Marc Aurel“ erstreckt sich über zwei Museen: Während das Rheinische Landesmuseum (auf 1 000 Quadratmeter) unter dem Titel Kaiser, Feldherr, Philosoph den Fokus auf die Person Marc Aurel setzt, nähert sich das Stadtmuseum Simeonstift (auf  600 Quadratmeter) der Frage der guten Herrschaft. 
Rund 400 Exponate aus eigenen Sammlungen und verschiedenen europäischen Museen (117 Leihgeber aus ganz Europa, darunter das Louvre und das Vatikanische Museum in Rom) wurden zusammengetragen: eine Sisyphus-Arbeit, der sich ein großes Team mit vereinten Kräften widmete. Das Budget für die Ausstellung lag bei über fünf Millionen Euro.
Die Landesausstellungen in Trier sind oft Publikumsmagneten – die große Ausstellung über Kaiser „Nero“ zog 2016 über 250 000 Besucher an. Auch der Untergang des Römischen Reiches  2022 erwies sich als Erfolg. Der große Andrang blieb bei Marc Aurel jedoch trotz der in peppigen lila-rotem Design lockenden Farben auf Fahnen und Plakaten in Trier bisher aus, unterstreicht ein Mitarbeiter im Ticketverkauf rund einen Monat nach Auftakt der Ausstellung. 
Immerhin finden Schulklassen dank ihrer engagierten Lehrkräfte und eines didaktischen Programms in die Schau, wie man im Gästebuch erkennen kann. Ein ambitioniertes Begleitprogramm für Kinder ist ebenfalls auf die Beine gestellt worden, barrierefreie Stationen locken punktuell mit Braille-Schrift oder Höroptionen – allerdings ist Inklusion nicht konsequent durchgezogen, vielmehr handelt es sich um einige Schlaglichter.
Die farbenfrohe Ausstellung im Landesmuseum folgt einer chronologischen Erzählweise, in der die Besucher/innen einen Blick auf die Zeitumstände und die römische Gesellschaft erhalten. Eingangs wird Roms Goldenes Zeitalter präsentiert, seiner Zeit herrschte Wohlstand. Marc Aurel wurde in friedliche Zeiten im „Zentrum der Welt“ als Kind der römischen Oberschicht geboren und „über Umwege“ zum Kaiser gewählt. 138 n. Chr. trat Aurel mit 17 Jahren die Thronfolge an. und blieb 23 Jahre Kaiser.
Sein ungleicher (Adoptiv-)Bruder Lucius Verus, mit dem er sich entschloss, gemeinsam zu regieren (bis zu dessen Tod, 169 n. Christus) war neun Jahre jünger. Als Aurel seine Faustina heiratete, war er gerade 24, sie 15 Jahre alt. Sie hatten mindestens elf Kinder. Eine Goldmünze im Rheinischen Landesmuseum zeigt Faustinas Kopf, eine Büste ihre anmutige Gestalt. Zwei Sarkophag-Reliefs aus dem Louvre mit spielenden Kindern zeigen in der Ausstellung den betuchten römischen Nachwuchs, während ein Sklave aus schwarzem Marmor die römische Klassengesellschaft illustriert. 
Ein Raum in tiefem Blau verspricht, Aurels Denken zu beleuchten, „die Welt der Stoa“ liest man – partizipativ können die Besucher/innen der Aussage „Pflichten und Tugenden machen eine gute Lebensführung aus“ zustimmen oder diese ablehnen, indem sie einen blauen Ball in eine Vase werfen. Die Zustimmung der Besucher/innen ist hoch, bei „Das Glück liegt in der Gelassenheit, nicht im Genuss“ ist sie noch höher.  Bei der Aussage „Das Unabänderliche sollten wir nicht ändern wollen“ halten sich Zustimmung und Ablehnung die Waage, dabei enthält diese Aussage eher den Kern von Aurels Lehre, dem Akzeptieren des Unabänderlichen. 
In Rosa dagegen der Raum „Marc Aurel wird Kaiser“, in dem seine Büste und die von Lucius Verus auf einen Sockel gehoben wurden. Auf einem Relief (Marmor um 176 n. Chrs. Rom; heute Konstantinbogen) verkörpern Männer die von Marc Aurel besungenen Tugenden, wie Fürsorge, Pflichterfüllung und Freigiebigkeit. Auf einer Tafel erfährt man, dass Innenpolitik für Marc Aurel zunächst im Vordergrund stand und er sich nach kaiserlichen Tugenden, nicht nach philosophischen Ansprüchen (aus-)richtete. Fürsorge, wie kaiserliches Kindergeld, kennzeichnete sein Handeln. 
Ein weiterer Raum behandelt die Antoninische Pest - (keine Pest im heutigen Sinne) und damit eine Pandemie, die in die Regierungszeit Marc Aurels fiel. Unter dem Titel „Rom rüstet sich“ wird die Aufrüstung Roms illustriert. 165 n. Chr. ruft das Imperium die erste Truppenaushebung seit 60 Jahren (zuletzt unter Traian) aus und knapp zwölftausend römische Bürger zu den Waffen.  Unklar bleibt, wieso Marc Aurel zwei neue Legionen im Kernland aushebt ... Wahrscheinlich erscheint eine Kombination aus hohen Verlusten im Partherkrieg und durch Krankheit, aber vor allem Vorbereitung auf folgende Kämpfe im Donauraum. 
Im Rheinischen Landesmuseum ist in einem Glaskasten eine Miniatur-Truppensimulation (Diorama) von 5 400 Mini-Legionären zu sehen, die eindrucksvoll die Größe der Legionen spiegelt. Der Kaiser war nun überwiegend an der Front eingespannt. Die sogenannten Markomannenkriege sollten Marc Aurels Regierungszeit prägen: Über ein Jahrzehnt herrschte Krieg an der Donau. Sein leiblicher Sohn Commodus wurde als Nachfolger aufgebaut, konnte seinem Vater jedoch nicht ansatzweise das Wasser reichen. 
Die Kriege hatten Auswirkungen auf das Leben im Imperium und schlugen sich nieder im Stadtmauerbau. Auch in Trier entstand zu dieser Zeit eine Stadtbefestigung, das heutige Wahrzeichen der Stadt und das am besten erhaltene römische Stadttor nördlich der Alpen, die Porta Nigra, mit ca. 7 200 Steinquadern aus lokalem Sandstein erbaut. Und obwohl Marc Aurel nie in Trier war und seiner Zeit in Rom saß, kann man davon ausgehen, dass die Baugenehmigung für die Porta Nigra über seinen Schreibtisch gegangen sein muss und er diese erteilte.
Im zweiten Teil der Ausstellung, im Simeonstift, stößt man unter dem Titel „Gemeinwohl als Bildthema“ und „die drei guten und die drei schlechten Regierungen in Aristoteles’ Politik“ auf allerlei Gemälde mit guten und schlechten Herrschaftsmodellen. – Bis hin zu George Orwells Dystopien finden sich hier viele mögliche Modelle (auch eine Kopie Delacroix-Gemäldes Die Freiheit führt das Volk an aus dem Jahr 1830). Am Ende des Rundgangs steht die deutsche Demokratie als ideale Herrschaftsform, mündend in der Frage an die Besucher/innen: Was bedeutet gute Regierung für Sie?
Erscheint der erste Teil über das Leben des Marc Aurel im Landesmuseum noch schlüssig, so hat man im Simeonstift den Eindruck, dass hier viele Zusammenhänge konstruiert wurden. Nachdem man bereits im Erdgeschoss wieder auf Kalendersprüche Marc Aurels trifft, bekommt man so im ersten und zweiten Stock das Gefühl eines Potpourris an politischen Utopien und Entwürfen. 
Warum nur galt Marc Aurel nochmal als „guter Kaiser“? Wenig von dem, was er wollte, hat er erreicht und dafür vieles, was er nicht wollte. Kein römischer Kaiser hat so viele Kriege geführt wie er – man könnte ihn als Kriegskaiser sehen – dabei war ihm doch so sehr an Gelassenheit und Frieden gelegen.
Mit Aurel endete das goldene Zeitalter und es begann das eiserne, rostige. Die glänzenden Zeiten des Römischen Reiches waren vorbei. Vielleicht liegt in dieser ernüchternden Einsicht am Ende des Ausstellungsrundgangs der größte Erkenntniswert: Schlussendlich war Marc Aurel auch in seiner Regentschaft und in seinen Widersprüchen ein normaler, recht menschlicher Herrscher. 

Die Landesausstellung Marc Aurel in Trier ist noch bis zum 23. November 2025 im Rheinischen Landesmuseum und Stadtmuseum Simeonstift zu sehen. Weitere Informationen unter: https://marc-aurel-trier.de/

Anina Valle Thiele
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