Archive
Feuilleton / Die kleine Zeitzeugin
Ein Viertelstündchen entfernt von der goldenen Grand-Place
Molenbeek, Fremdkörper
Michèle Thoma
Édition: 27.11.2015
Es gibt also Molenbeek, wer hätte das gedacht. Mitten unter uns, also daneben. Nicht wirklich am Rande, nicht mal, der Brüssel-Mensch oder der internationale braucht nur eine Brücke zu überqueren, einen Fluss. Eine Viertelstunde von der Grand-Place, die golden über die Bildschirme flimmert, das …
Die Leute machen neuerdings Fotos, ein Wahnsinn
Herbsthimmel
Michèle Thoma
Édition: 20.11.2015
Das geht nun schon seit Monaten so, mindestens seit September. Die ganze Zeit Herbsthimmel. Oder Herbstblumen. Oder Hunde, Hunde unter Himmel im Herbst. Mit Stock im Maul, triefenden Lefzen, gudde Mupp. Wanderschuhe, Astern, Vergilbtes. Oder dampfende Kaffeetassen, die Leute machen neuerdings …
So vieles kommt geradewegs auf uns zu
Große Chef-Pizza-Angst
Michèle Thoma
Édition: 13.11.2015
Angst! Angst! Alle haben tausend Angstgründe, Angstabgründe, Angst, noch mehr Angst, und die, die keine Angst haben, haben Angst vor denen, die Angst haben.
So vieles kommt ja gerade geradewegs auf uns zu. Völker wandern auf uns zu, wann gehen sie wieder, kann einem das jemand sagen? Gerade …
Infos, die wir hinterlassen haben
Memory
Michèle Thoma
Édition: 06.11.2015
Auf unsere Nachkommen wird vermutlich, ziemlich sicher, ziemlich viel zukommen. Unter anderem das, was wir an Infos hinterlassen haben werden, nachdem wir uns diskret in den Staub gemacht und ihnen die Szene überlassen haben.
Wenn man auf Dachböden herumstöbert, Häuser ausräumt in denen die, die …
Vom Trauern
Das Zeitliche segnen
Michèle Thoma
Édition: 30.10.2015
Liebe Tiere sterben aus, Kulturen und Sprachen natürlich auch. Wörter, sie schreien nicht um Hilfe, es gibt keine Vermisstenanzeige, niemand weint ihnen hinterher. Irgendwann, wenn man so ein totes oder halbtotes Wort in den Mund nimmt, wird man befremdet angeschaut: Diese Dame ist nicht von …
"Hier bin ich, reiß mich auf"
Buchmesse
Michèle Thoma
Édition: 23.10.2015
Ich war ein Mal auf der Buchmesse, also auf der Buchmesse. Auf den anderen kein Mal. Vor langer, langer Zeit war das, damals, als die ausgelaugten, ausgesaugten Siebziger gerade in die schnellen, grellen Achtziger gekippt waren.
Vor allem war ich auf der Gegenbuchmesse, heute gibt es, wenn ich …
Einst gab es nur eine Zehka - die war in der Stadt
Episches Europa
Michèle Thoma
Édition: 16.10.2015
Einst war die Welt, also Europa, viel einfacher, vielleicht langweiliger. Es war nicht dauernd was los, und wenn, dann war es weit weg und in Schwarzweiß. Eine EU gab es nicht, nur eine Zehka – die war in der Stadt. Europa war wunderbar übersichtlich. Das meiste Europa gab es praktischerweise gar …
Neulich am Himmel
Tollmond
Michèle Thoma
Édition: 09.10.2015
Die Tage sind günstig zum Zehennagelzwicken. Man könnte sich auch eine neue Hüfte einsetzen lassen, mal nachschauen, was sonst noch so empfohlen wird. Den Ziegenstall ausmisten zum Beispiel. Danke lieber Mondkalender, du sagst uns immer, welches Holz geschlägert gehört und welche Haare wo gejätet. …
Magyaren gegen Barbaren
Die Ungarn haben einen Vogel
Michèle Thoma
Édition: 02.10.2015
Sie stellen ihn auf Podeste, errichten ihm Monumente, der Anführer schwingt seine Reden unter seinen rabenschwarzen Riesenflügeln, schwingt sich zu Schwindel erregenden Höheflügen der Rhetorik auf. Drachen, Heilige, Blut und Boden, Turul Turul!
Landauf, landab verrichten die Ungarn diesen …
So schön kann es natürlich nicht weitergehen!
Wo kommen die plötzlich her?
Michèle Thoma
Édition: 18.09.2015
In der Festung ist Stress pur angesagt. Plötzlich, urplötzlich, gerade war noch Sommer und die Insassen posteten appetitlich lackierte Zehennägel, sind da ganz viele Neue. Sie sind überall, zumindest in den Köpfen, eben waren sie noch im Fernsehen, warum sind sie nicht dort geblieben?
Der Türmer …
Der magische Moment, an dem sich der Himmel öffnete
Tote Kinder
Michèle Thoma
Édition: 11.09.2015
In der Nacht wird das ertrunkene Kind angeschwemmt, der Facebook-Surferin ins Blickfeld geschwemmt. Es liegt da, einfach so, entspannt. Zu entspannt. Und zugleich, alles sträubt sich in der mit allen Wassern gewaschenen Facebook-Surferin, wie auf einem Präsentierteller präsentiert. Am Morgen zum …
Sich unsubtil ausdrücken
Ech ginn net heeschen
Michèle Thoma
Édition: 04.09.2015
Hat es mit unserer Kindersprache zu tun, dass der die Aborigenee sich häufig etwas, sagen wir: unsubtil ausdrückt? Sprachlich geht es hierzulande meist relativ unverblümt zu, nicht lange um den Brei und so. Also kein Chichi und überflüssige Dekorationen, unser bodenständiger Wortschatz lässt allzu …
Manche Bettler haben sogar Handys
Battle-n
Michèle Thoma
Édition: 28.08.2015
Elendshäufchen kleben auf dem Asphalt, wie peinlich es ist, über sie zu stöckeln. Wer will über Lebende gehen. Der Mensch, der endlich sein Auto geparkt hat und endlich einen Fuß in die Stadt gesetzt hat, strapaziös genug, begegnet ihnen auf Schritt und Tritt. Sie sind unter uns, denkt er …
Überall, wo es Kunst gibt
Kulturfurien
Michèle Thoma
Édition: 21.08.2015
Die Kulturfurie ist ein_e Tourist_in, die es vorwiegend auf Kultur abgesehen hat. Sie treibt sich überall herum, wo es so genannte, offizielle Kultur und Kunst gibt, aber auch inoffizielle, noch nicht kanonisierte Kunst ist nicht sicher vor ihr. Was man früher so Avantgarde nannte. Sie tritt …
Diktatoren sind verlässlich
Hallo Diktator!
Michèle Thoma
Édition: 31.07.2015
Warum sollte man Diktatoren diskriminieren? Diktatoren – Diktatorinnen fallen mir gerade keine ein, also ich meine offizielle, mit Stempel – sind auch Menschen. Was spricht dagegen, ihnen hin und wieder die Hand zu schütteln, einen Kratzfuß zu absolvieren, in einem geräumigen Gemach? Ein Küsschen …
Henry Miller
Mann meines Lebens
Michèle Thoma
Édition: 24.07.2015
Ich muss es tun, jetzt, wann sonst, es ist immer jetzt. Ich muss mich outen, ich muss ihn outen.
Ich gebe zu, potenzielle Leserinnen dieser Abspaltung, Mann meines Lebens ist eigentlich schon eine Zumutung an sich. Sowas tut frau ja nicht mehr, so was wird, glaube ich, nicht mehr getragen, …
Die kleine Zeitzeugin
Das kalte Herz
Michèle Thoma
Édition: 17.07.2015
Ach, Hybris, so jung und übermütig und kindisch cool, Hemd aus der Hose, Motorrad, große Sprüche, große Gedanken, aber kein Kleingeld. Und dann in die eiskalte Höhle des Löwen, der gar keiner ist. Ein goldenes Kalb hält dort Hof, im Bund mit dem großen Minotaurus. Der Finanzminister, der flugs ein …
Der Sommer ist groß und stark
Heiß!
Michèle Thoma
Édition: 10.07.2015
Ein gnadenreicher Zustand überkommt uns. Zumindest jene, die nicht gerade in einem Straßengraben am Pressluftbohrer stehen, oder mit beladenen Tabletts beladen zu jenen an den Schattenplätzen robben. Alles wird so elementar, vor allem wir. Schweißbäche rinnen aus uns, Schweißströme, wir baden …
Die jungen Lehrer und ihre Mutti
Dream Team
Michèle Thoma
Édition: 03.07.2015
Läuft die Zeit ab?, fragt die Moderatorin Nachtschwester. Ein feiner sadistischer Unterton lässt sich ausmachen, sollen wir endlich die Geräte abschalten? Das deutsche Volk soll entscheiden, jedenfalls im Fernsehen. Stecker ziehen, sagt das Volk, das deutsche, drei Viertel sind dafür. Keine …
Gefährliche Beinkleider
Enge Jeans
Michèle Thoma
Édition: 26.06.2015
Eine neue Angst ist am Markt, für alle, die noch keine haben oder eine für zwischendurch brauchen. Zwischen Ebola, Flüchtlingen, asiatischen Killerstechmücken, Straßenbahnen, Amerika ein funkelnagelneues Ängstlein, greifen Sie zu!
Experten, sie kommen nicht aus Saudi-Arabien, warnen inständig vor …
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