Serien

La Condition Millennial

d'Lëtzebuerger Land du 31.07.2020

Hierzulande wurde Mensch eventuell erst mit einer nicht uninteressanten Nachricht auf sie aufmerksam. Michaela Cole, Creator, Drehbuchautorin, Co-Regisseurin und Star der vielbesprochenen britischen Serie I May Destroy You hat der Streamingplattform Netflix den Mittelfinger gezeigt. 2017 hatte sich Cole dem VOD-Anbieter zunächst angenähert, um die Serie vorzustellen. Das anschließende Angebot war verlockend – eine Million Dollar Vorabzahlung. Ein solcher Batzen Geld kommt bei
Netflix aber nicht ganz ohne Haken. Cole hätte dafür ihre Eigentümerschaft an die Firma überschreiben müssen. Das kam für die junge Künstlerin nicht in Frage. I May Destroy You produzierte sie schließlich mit ihrer eigenen Produktionsgesellschaft für die BBC und HBO.

Michaela Cole spielt die Hauptfigur Arabella, die zwar sehr kosmopolitische Sorgen hat, mit denen sich Mensch aber auch sonst sehr gut identifizieren kann. Die junge Frau mit ghanaischen Wurzeln ist ständig auf der Piste, mag ihre rekreativen Drogen und hat nebenher als Socialite mit Buchvertrag eine Deadline einzuhalten. Sie kriegt von ihrer Agentur die Büros zur Verfügung gestellt, um eine Nacht konzentriert durchzuarbeiten. Es benötigt einige wenige Schliffe am fertigen Manuskript des neuen Buches. Tatsache ist aber, dass sie seit einer Ewigkeit nicht mehr am Text gesessen hat. Aus der Nuit blanche wird natürlich nur bedingt etwas: „Wie kann ich schneller schreiben?“ wird gegoogelt, Musik ewig ausgesucht, Laptop am Tisch adjustiert. Die Prokrastination endet in einem Koks- und Alkoholgelage, das sogar Unter-der-Woche-trinkende-Engländer blass werden lässt. Schlaftrunken, verkatert und von anderen Substanzen druff sitzt sie in Allerherrgottsfrühe dann doch am Text und liefert in Wörter gefasste Abstraktionen ab. Arabella scheint der Ahnungslosigkeit der Agenten weniger Aufmerksamkeit schenken zu wollen, als der Tatsache, dass sie blaue Flecken am Körper und eine offene Wunde an der Stirn hat. Irgendwann macht der Filmriss Platz für Flashbacks und somit einem tiefgreifenden Trauma.

I May Destroy You ist ein zwölfteilig halbstündiges Mahnschreiben, das sein Publikum an die Themen erinnert, die noch vor nicht allzu langer Zeit verhandelt wurden. Aber das Jahr 2020 hat bekanntlich schon ganz am Anfang für sich entschieden, welches Thema Nummer eins werden soll. Von daher wirkt Michaela Coles Serienvorschlag auf den ersten Blick wie aus einer anderen Zeit. Andererseits könnte man den Lockdown als ruhige Reflektionszeit über Themen verstehen, die I May Destroy You in ihren vielschichtigen Überlegungen neu verhandelt: Sexuelle Einwilligung, la Condition Millennial, Hookup-Kultur und allgemein die Regeln von Leben, Sex und Liebe, die von #MeToo neu gemischt wurden.

Britische Serienvorschläge wurden in den letzten Jahren immer wieder gefeiert, aber so etwas wie I May Destroy You ist auch in der Fernsehlandschaft der Insel einzigartig. Michaela Cole gelingt ein hochinteressantes Wechselspiel auf mehreren, dramaturgischen sowie formalen Ebenen. Bierernst und stellenweise sehr lustig, egozentrisch und kommunitaristisch, fokussiert und freischwebend – Cole weiß sehr wohl, was sie schreibt und erzählen will, lässt sich aber wohlwollend von ihrer kurzsichtigen Figur leiten und die Stränge in alle Richtungen gehen. Arabella ist nun mal keine durchsichtige Figur, auch wenn Michaela Cole vom Schreiben her immer wieder den Anschein zu geben mag, sie hätte sie endlich gefasst. Und es ist dieses Wechselspiel aus Fassen, nur um dann wieder psychologisch durch die Finger zu gleiten, die I May Destroy You zu dem machen, was es ist.

Michaela Coles Arabella ist nicht die einzige im Wirbelwind des Geschehens. An ihrer Seite
stehen ihre zwei besten Freunde, die mit ihr durchs moderne London (mehr) streifen als leben. Die Freundin ist eine angehende Schauspielerin, die jedes mögliche Vorsprechen für eine Rolle in einer Werbung vermasselt, der Freund dagegen rennt von einem Grindr-Treffen zum Nächsten und weiß nicht einmal, dass er eigentlich etwas ganz anderes sucht. Bei aller Liebe zu diesen Figuren unter-
stützen diese doch nur unsere Hauptfigur auf ihrem Weg durch Leben und Trauma.

I May Destroy You geht einfachen Lösungen aus dem Weg. Was durchaus für Diskussionen sorgen könnte. Aber Michaela Cola versteht ihre Arabella eben nicht als klares Opfer, das ab dem Opfer-Werden einen klassischen dramaturgischen Bogen durchlaufen muss. Ihr geht es – auch als
black female creator – darum, das eigene Narrativ an sich zu reißen, es durchzudeklinieren, um irgendwann Licht am Ende des Tunnels zu sehen trotz eigener Inkonsequenzen und Macken. Und um vielleicht nicht jede Deadline bis zur letzten Sekunde zu strapazieren (sic!).

Tom Dockal
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