Großregion

Proto-Instagram

d'Lëtzebuerger Land vom 10.02.2023

Eigentlich sollten diese Woche die 30 vergrößerten Postkarten im Gaspar Museum in Arlon von den Wänden entfernt werden:. Das Ausstellungsende war für Ende Januar vorgesehen. Aber die Geschichtsrekonstruktion von Dorfhistorien anhand von Postkarten hatte einen Nerv bei den Besuchern getroffen. Und deshalb entschied die Museumdirektorin, Valérie Peuckert, die Exponate von Environs d’Arlon, vues de nos villages weitere sechs Monate auszustellen. Die Postkarten veranschaulichen das Umland der Stadt gegen Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit hinein. Also die Zeit, nachdem Arlon 1839 zum chef-lieu der Provinz Luxemburg ernannt wurde und eine erste damit zusammenhängende Urbanisierungsphase durchlaufen hatte (wie beispielsweise der Bau einer Hochschule und einer Militärkaserne).

Abgebildet auf den Postkarten ist das Dorfleben – Frauen in Schürze, Gendarmen oder Kinder stehen neben Karren oder Milchkühen auf ungeteerten Straßen. Vor allem der Dorfkern und seine Häuser wurden abgelichtet. Manche Vorderseiten sind beschriftet, wie bis 1904 üblich, erst danach beschrifteten die Absender die Rückseite. Man verwendete die Ansichtskarten, um Termine unter Verwandten oder Geschäftsleuten zu vereinbaren oder Kurznachrichten während einer Reise zu verschicken. Der Versandpreis wurde dabei anhand der Schriftzeichen berechnet. Manche Postkarten enthalten nur den Namen des Absenders und keine weitere Botschaft. Somit erinnern sie an eine Art Proto-Instagram: „the picture is the message“. Überhaupt hing ihre Popularität mit der Erfindung des Fotomechanisierungsverfahren in den 1890-er-Jahren zusammen. Jedoch nicht ausschließlich; sie waren vor allem eine günstige Alternative zu Telefonen und gewöhnlichen Briefen. Außerdem kamen Postkarten vergleichsweise zeitnah an - zuweilen noch am Tag der Versendung.

Weit mehr als soziologische Details zum Dorfleben wählte die Kuratorin und Museumsdirektorin Peuckert politische und geographische Angaben. Über Heckbous beispielsweise erfährt der Besucher: „Der dort herrschende katholische Graf sträubte sich unter die protestantische Herrschaft der Orangier-Nassau zu fallen. Und deshalb wurde die vom großherzoglichen Territorium umzingelte Siedlung Heckbous aus religiösen Gründen nicht ins heutige Luxemburg eingegliedert.“ Über Clairefontaine wird berichtet, hier stünde das einzige Zisterzienser Frauenkloster, dessen Grundrisse im Original erhalten sind. Aber auch zeitgenössische Details werden über die Dörfer vermittelt. So ist über Weyler zu lesen, die Ortschaft erfahre eine „explosion démographique en raison de la proximité du Grand-Duché de Luxemburg“. Dass die Grenzen im Arelerland zwischen Belgien und Luxemburg porös sind, wird darüber hinaus an linguistischen Eigenheiten deutlich: Der Ortsname Udange stammt vom germanischen Udingen. Der Ort war zudem der Grafschaft Koerich zugeordnet.

Arlon, eine der ältesten Städte Belgiens, geht auf die römische Siedlung Orolaunum um 52 v. Chr. zurück. Damals existierten bereits um die Stadt Dörfer und Weiler; die offiziellen Gründungsdaten der umliegenden Dörfer liegen jedoch zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert. Zusätzlich zu den 30 vergrößerten Postkarten werden 490 Illustrationen an eine Wand projiziert. Die Sammlung wurde von Jean Dujardin (1916-1999) ans Archäologische Museum der Provinz Luxemburg vererbt. Wer sich für das lange 19. Jahrhundert interessiert, wird im Musée Gaspar auch über die Ausstellung Environs d’Arlon hinaus fündig.

Stéphanie Majerus
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