Die Debatte über die Anpassung der Steuertabelle offenbarte grundlegende Differenzen zwischen der CSV-DP-Regierung und den Oppositionsparteien LSAP und Grüne

„Méi Netto“ für alle

Laut Sam Tanson bekommen die Reichen mehr Butter als die Armen
Photo: Schreenshot Facebook
d'Lëtzebuerger Land du 22.12.2023

Mit dem ersten von der neuen Regierung dem Parlament überhaupt zur Abstimmung vorgelegten Gesetzentwurf passten CSV und DP (mit Unterstützung von Piraten, ADR und Linken) am Mittwochnachmittag die Steuertabelle an die Inflation an. Nicht in Höhe von vier Tranchen, wie CSV und DP im Vorfeld und auch noch während der Sitzung behaupteten, sondern lediglich um eineinhalb. Das ist weniger als die Anpassung von zweieinhalb Tranchen, die DP, LSAP und Grüne im Frühjahr vor den Gemeindewahlen mit den Sozialpartnern bei der Tripartite ausgehandelt hatten und noch vor der Sommerpause vom Parlament einstimmig per Gesetz verabschiedet worden war. In Kraft treten sollte diese Anpassung aber erst am 1. Januar, sodass die neue Regierung noch vor Weihnachten die Gelegenheit ergriff, um anderthalb Tranchen nachzulegen, einerseits damit CSV und DP ein Wahlversprechen einlösen konnten, und andererseits, damit die steuerzahlenden Wähler sie nach den Feiertagen nicht für weniger „Netto vum Brutto“ auf ihrem Lohnzettel verantwortlich machen, wenn der ebenfalls bei der Tripartite beschlossene Konjunktursteuerkredit in Höhe von zwei Indextranchen in diesem Monat ausläuft.

Durch die Anpassung steigt der Grundfreibetrag von aktuell 11 265 auf 12 438 Euro Jahreseinkommen und liegt 456 Euro höher als er gelegen hätte, wenn nur 2,5 Tranchen angepasst worden wären. Gleichzeitig greift der Spitzensteuersatz von 42 Prozent erst bei einem Einkommen von 220 788 statt bei 200 004 Euro wie bisher. In der Steuerklasse 1 zahlt ein Haushalt mit einem Einkommen von 37 000 Euro künftig nur noch 2 598 statt 3 046 Euro Steuern (448 Euro weniger), einer mit einem Einkommen von 150 000 Euro zahlt 2024 rund 1 200 Euro weniger als in diesem Jahr. In absoluten Zahlen profitieren Haushalte mit hohen Einkommen wesentlich mehr von der Anpassung, proportional zu ihrem Einkommen kommt sie Haushalten mit geringeren Einkommen jedoch stärker zugute. 180 Millionen Euro wird die zusätzliche Anpassung den Staat kosten, 480 Millionen die der vier Tranchen insgesamt.

Die Oppositionsparteien LSAP und Grüne kritisierten am Mittwoch die zusätzliche Anpassung der Steuertabelle um 1,5 Prozent und wünschten sich stattdessen eine gezieltere Entlastung von Haushalten mit geringen und mittleren Einkommen. Als Alternative schlugen die Sozialisten in einem vom Parlament mehrheitlich abgelehnten Änderungsantrag die Aufwertung der Steuerkredite für Beschäftigte, Rentner und Freiberufler um bis zu 425 Euro vor. Die Kredite sollten bis zu einem Höchsteinkommen von 80 000 Euro gestaffelt sein. Dem „méi Netto vum Brutto“ der CSV setzte Franz Fayot (LSAP) ein „Cash an d’Täsch“ entgegen. Die Grünen hatten schon in den Tagen vor der Debatte im Parlament in den sozialen Netzwerken ein Video veröffentlicht, in dem ihre Sprecherin Sam Tanson mit mehreren Pfund Luxlait-Butter die mutmaßliche Ungerechtigkeit der zusätzlichen Anpassung der Steuertabelle veranschaulicht. Auch sie sprach sich am Mittwoch für eine gezieltere Unterstützung für geringe und mittlere Einkommen aus.

Während ADR und Piraten die Regierung weitgehend unterstützten, tat die Linke sich schwer damit, eine eigene Position zu finden. Was sicherlich auch daran liegt, dass die nicht ausschließlich die schlecht bezahlten Beschäftigten repräsentierenden Gewerkschaften und die Chambre des Salariés seit Jahren eine Inflationsbereinigung der Steuertabelle fordern, bestenfalls eine automatische nach jeder Indextranche, um die kalte Progression auszugleichen. Denn mit der jetzigen Anpassung um vier Tranchen erhalten die Steuerzahler genau genommen nur die Hälfte des Geldes zurück, das sie durch die Nicht-Anpassung von acht Indextranchen in den vergangenen Jahren „zuviel“ gezahlt haben.

Das Festhalten der Gewerkschaften an der linearen Anpassung der Steuertabelle liegt auch an deren engen Verwandtschaft mit dem Indexmechanismus. Im Rahmen der großen Steuerreform von 1967 (im gleichen Jahr wurde der Index-Warenkorb von 36 auf 176 Artikel erweitert) hatte die damalige CSV-LSAP Regierung einen Änderungsantrag eingereicht, der vorsah, dass die Steuertabelle an die Preissteigerung angepasst werde, falls diese in den ersten sechs Monaten des Jahres mindestens fünf Prozent beträgt. Sinn und Zweck dieser Anpassung war es, zu verhindern, dass die Einkommen durch die damals schon in vielen Wirtschaftszweigen verbreitete automatische Lohnanpassung auf eine höhere Stufe der Steuertabelle steigen und folglich höher besteuert werden, sodass ein Teil der Lohnanpassung von der kalten Progression gleich wieder „aufgefressen“ wird. Wurde bis dahin die Anpassung der Steuertabelle von Zeit zu Zeit per Sondergesetz vorgenommen, sollte sie künftig zusammen mit dem Haushaltsgesetz verabschiedet werden und eine Schätzung des déchet fiscal (Steuerverlustes) beinhalten, den sie im Staatshaushalt verursacht. Weil die Anpassung für die Regierung jedoch nicht verpflichtend war, schlug der damalige Oppositionsabgeordnete Paul Elvinger (DP) in einem eigenen Änderungsantrag vor, die Steuertabelle nach jeder Indextranche (statt nach jeder zweiten) automatisch anzupassen, ohne dass dafür ein Gesetz nötig wäre, und darüber hinaus sämtliche „montants-limites, abattements, plafonds, planchers et autres données chiffrées dont l‘incidence réelle sur l’imposition est affectée par les variations de l’indice“ gleich mit anzupassen. Das fordert heute auch die Chambre des Salariés, damit die in den vergangenen Jahren von Blau-Rot-Grün eingeführten Steuerkredite nicht an Wirksamkeit verlieren. Während die KPL damals Elvingers Vorschlag unterstützte, lehnten CSV und LSAP ihn ab, weil er möglicherweise verfassungswidrig sei, wie Berichterstatter Robert Krieps (LSAP) meinte.

Obwohl die CSV-LSAP-Regierung noch im Dezember 1995 die Grenze für die Anpassung von fünf auf 3,5 Prozent herabsetzte, wurde die lineare Anpassung der Steuertabelle an die Inflation immer seltener. 1991, 1998, 2001 und 2002 wurde im Rahmen allgemeiner Steuerreformen der Grundfreibetrag erhöht, die Zahl der Einkommensstufen verändert und der Spitzensteuersatz gesenkt (d’Land, 16.11.2012). Nur 2008 wurde noch einmal eine lineare Anpassung von sechs Prozent vorgenommen, obwohl die Löhne und Renten seit der Steuerreform von 2002 um 15,97 Prozent gestiegen waren.

Im Zuge einer ganzen Reihe von Sparmaßnahmen (und mehrerer Indexmanipulationen) während der Wirtschaftskrise 2012 entfernten der damalige Finanzminister und heutige Premierminister Luc Frieden und der damalige Berichterstatter und heutige Finanzminister Gilles Roth (beide CSV) den Paragrafen über die Anpassung aus dem Einkommenssteuergesetz, ohne dass sie und die anderen Vertreter der Mehrheitsparteien in der Abgeordnetenkammer ein Wort darüber verloren. 2017 nahm die DP-LSAP-Grüne Regierung dann die erste Anpassung der Steuertabelle seit 2008 vor. Sie bremste die Progression bei den unteren Einkommen durch die Einführung zusätzlicher Stufen und entlastete vor allem mittlere Einkommen bis 100 000 Euro. Für ärmere Haushalte erhöhte sie die Steuergutschriften und für die Betriebe reduzierte sie die Körperschaftsteuer. Gleichzeitig hob sie den Spitzensteuersatz in den beiden oberen Einkommensstufen um einen Prozentpunkt an (ab 150 000 Euro auf 41 und ab 200 004 Euro auf 42 Prozent). Bei 200 000 Euro endet jedoch die Progression. Laut vom Wirtschafts- und Sozialrat veröffentlichten Zahlen des Finanzministeriums hatten 2020 immerhin rund 9 200 in Luxemburg besteuerte Haushalte ein Einkommen von über 200 000 Euro, davon 1 200 eins von über 500 000 und 300 eins von über einer Million. Über 127 900 Haushalte verdienten hingegen weniger als (von der Einkommenssteuer befreite) 10 000 Euro, fast zwei Drittel von ihnen waren Grenzpendler. Die Hälfte aller Haushalte hat ein Jahreseinkommen von unter 30 000 Euro.

Weil die sozialen Ungleichheiten seit Jahren wachsen und die geringen und mittleren Einkommen (von 30 000 bis 120 000 Euro) die Hälfte der gesamten Einkommenssteuerlast tragen, hatte die LSAP schon bei der großen Steuerdebatte im Juli 2022 eine Überarbeitung der Steuertabelle gefordert, bei der nicht nur der Grundfreibetrag erhöht und die mittleren Stufen erweitert, sondern auch überhalb der 200 000-Euro-Einkommensgrenze weitere Stufen hinzugefügt und der Spitzensteuersatz erhöht werden soll. Die Grünen sprechen sich inzwischen auch deutlicher dafür aus als noch vor anderthalb Jahren, die Linke sowieso: Ihr Abgeordneter David Wagner forderte am Mittwoch einen Spitzensteuersatz von 50 Prozent. Auch über eine höhere Kapital- und Betriebsbesteuerung scheinen die drei Oppositionsparteien sich grundsätzlich einig zu sein.

Selbst die CSV hatte in ihrem Wahlprogramm eine zusätzliche Steuertranche von 43 Prozent für Einkommen ab 500 000 Euro Jahreseinkommen versprochen. In das Koalitionsprogramm der neuen Regierung hat diese Forderung es jedoch nicht geschafft. Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur, die Energiewende, den Sozialstaat und die Verteidigung wollen CSV und DP nicht mit Steuererhöhungen finanzieren, sondern mit Steuersenkungen, auch für Betriebe und Haushalte mit hohen Einkommen („die breite Mittelschicht“). Sie hoffen, dass nicht nur die Durchschnittsbürger/innen mit dem gewonnenen Geld die Wirtschaft ankurbeln, indem sie Waren kaufen, sondern auch die Besserverdienenden, die es in den vergangenen Jahren vorzogen, zu sparen. LSAP, Grüne und Linke zweifeln daran, dass diese Rechnung in einer kleinen, offenen Volkswirtschaft aufgeht. Sie befürchten, dass CSV und DP deshalb zu Sparmaßnahmen greifen werden, unter denen Geringverdiener am meisten leiden werden.

Luc Laboulle
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