Bekämpfung der Schweinepest

Klappjuegd aplaz Impfen

d'Lëtzebuerger Land vom 21.02.2002

Katastrophe. Damit beschrieben die Bauernverbände am Montag den Ausbruch der Schweinepest. Nachdem auf den ersten positiven Befund auf einem Hof in Colbette hin innerhalb des drei Kilometer umfassenden Sperrgebiets über 700 Schweine notgeschlachtet und zur Verbrennung nach Belgien abtransportiert worden waren, gingen nach neuen Positivbefunden die Keulungen Mitte der Woche weiter. Dass in den nunmehr drei Sperrbezirken mehr als 8 000 Schweine getötet werden müssten, schloss Arthur Besch, Leiter der Veterinärinspektion im Landwirtschaftsministerium, nicht aus - das wäre fast ein Zehntel des Hausschweinbestandes im Lande.

Noch kann niemand die ökonomischen Auswirkungen auch nur abschätzen. Dafür sei es noch zu früh, teilt der Service d'économie rurale im Landwirtschaftsministerium mit. Fest steht für die Bauern: Die Entschädigung aus dem nationalen Seuchenfonds in Höhe von 1,50 Euro pro Kilo ersetzt allenfalls den Tageswert eines notgeschlachteten Tieres. Nicht inbegriffen sind die Ausfälle durch die Verkaufseinschränkungen in den Sperrgebieten, die erhöhten Futterkosten für Tiere, die in den Ställen stehen bleiben, die Kosten für die Neueinrichtung eines komplett gekeulten Bestandes, die sich zeitlich zwischen vier Monaten, so Arthur Besch, oder einem halben Jahr, so Jos. Thinnes, Präsident des Schweinezüchterverbandes, hinziehen kann. Dafür ist eine Entschädigung per Gesetz nicht nur nicht vorgesehen, sondern sogar ausdrücklich ausgeschlossen. Zum Glück ist noch kein Zuchtbetrieb betroffen, dessen Einrichtung ein halbes Lebenswerk sein kann. Groß dürfte schon jetzt der psychologische Schaden unter den Betroffenen sein. In Betrieben, in denen notgeschlachtet wird, erleben die Bauern die vorsorgliche Tötung auch kerngesunder Tiere, darunter tragender Sauen und neugeborener Ferkel. Ein Trauma, eine Überschreitung des Bauern ethisch Zumutbaren.

Man mag den Vergleich vielleicht für deplatziert haten, aber die Krisenreaktion ähnelt der Amerikas nach den Attentaten vom 11. September. Eine Nation, an der die jüngsten europäischen Tierseuchen nur als Fernsehbilder vorbeigezogen sind, ist plötzlich selbst betroffen, die Regierung muss die Gefühle der Betroffenen kanalisieren, und die Schuldigen sind ebenfalls schon ausgemacht: die Wildschweine in den Wäldern, die al-Qaida der Schweinepest.

Von deren Gefährlichkeit man freilich schon lange wusste, und deren Heranzüchtung geduldet wurde. Den genauen Bestand der Wildschweine hier zu Lande kennt niemand; die der Forstverwaltung gemeldeten Abschusszahlen zumindest haben sich in den letzten zehn Jahren verfünffacht, die Wildschäden, sagt Jean-Jacques Erasmy, Direktor der Forstverwaltung, seien etwa im gleichen Maße angestiegen. Seit wenigstens 15 Jahren aber sei die Zufütterung von Mais durch die Jäger in vielen Revieren ein Problem, meint Roger Schauls, der für den Mouvement écologique im Conseil supérieur de la chasse sitzt. "Im gesamten Zentrum des Landes halten die Jäger damit Wildschweine abschussbereit." Ähnlich im Kanton Redingen. Und in den Wäldern des Großherzogs bei Fischbach sei noch vor zwei Jahren der Mais vom Traktor aus ins Unterholz geworfen worden. Das Problem dabei: Nicht nur erhöht sich die Wildschweinpopulation, die erhöhte Eiweißgabe bringt auch den Hormonhaushalt der Sauen durcheinander, sie werden früher fruchtbar. Junge Wildschweine, vor allem die unter zehn Kilo Körpergewicht, infizieren sich jedoch besonders schnell mit dem Schweinepestvirus.

Auch Schweinezüchterverbandspräsident Thinnes ist der Meinung, in manchen Revieren werde "gezielte Wildschweinmast" betrieben. Der Fräie Lëtzebuerger Bauereverband würde sie am liebsten verbieten; Forstamtsdirektor Erasmy findet auch, sie habe nichts mit naturnaher Forstwirtschaft zu tun, und Umweltstaatssekretär Eugène Berger versprach schon in der Vorweihnachtszeit 1999, man werde die Zufütterung kritisch unter die Lupe nehmen. Geschehen ist nichts, und ein plötzliches Totalverbot, glaubt Roger Schauls, hätte angesichts der vermutlich hohen Wildschweinzahlen verheerende Auswirkungen, da die Schweine sich dann in den Maisfeldern der Bauern bedienen würden.

So dass eigentlich ein Zwangsargument für die verstärkte Wildschweinjagd besteht, die der Conseil supérieur de la chasse auf seiner Krisensitzung am Dienstag empfohlen hat und für die im Umweltministerium schon der entsprechende Verordnungsentwurf ausgearbeitet wurde, um heute dem Regierungsrat vorgelegt zu werden. Das Vorhaben aber ist nicht ohne Risiko. Das Ministerium für Verbraucherschutz und Landwirtschaft in Deutschland etwa, seit Jahren geplagt mit der Haus- und Wildschweinpest, rät per Internet: "Die Jagd darf nicht zum Versprengen oder zur Störung des Sozialgefüges der Rotten führen! Darum müssen vor allem Leit- und führende Bachen geschont werden. Innerhalb der ersten sechs Monate nach einem Seuchenausbruch sollte auf Drück- und Treibjagden ganz verzichtet werden."

Weil folgendes Problem sich stellt: Eine alte Bache ist Anführerin der Wildschweinrotte. Sie verbreitet Duftstoffe und verhindert, dass junge Sauen der Rotte zu schnell gedeckt werden. Wird die Bache geschossen, nimmt die Deckung explosionsartig zu - und damit die Zahl der besonders infektionsfälligen Jungtiere.

Veterinäramtsleiter Dr. Besch sieht im großen Halali auf die Schweine kein Problem; die sanitäre Situation erfordere dieses Vorgehen. Die Bauernverbände sind sowieso dieser Ansicht, und Forstverwaltungsdirektor Erasmy hält die Ausbreitung der Wildschweinpest in Luxemburg für mittlerweile so groß, dass ein Versprengen der Rotten die Lage nicht weiter verschlimmere. Restlos bewiesen aber ist das nicht, und nach der Treibjagd im Bambësch vom 22. Januar wurde unter den erlegten Tieren kein einziger Fall von Wildschweinpest ent-deckt, dafür aber von Spaziergängern Tierkadaver am Waldesrand. Die müssen zwar nicht unbedingt von der Bambësch-Jagd stammen, doch die Frage nach der Professionalität der Jägerschaft in Krisenzeiten stellt sich. Darüberhinaus ist die in Deutschland empfohlene Vorsichtsmaßnahme, dass Landwirte aus schweinehaltenden Betrieben nicht an Wildschweinjagden teilnehmen sollen, in Luxemburg kein Thema: Die Bauernverbände ermutigen ihre Jagdscheininhaber ausdrücklich zum Mittun, und in der Forstverwaltung wird die Gefahr, dass ein Bauer nach der Wildschweinjagd den Schweinepestvirus in den eigenen Hof tragen könnte, für gering gehalten, solange die Desinfektionsvorschriften beachtet werden.

Während in der öffentlichen Meinung die allgemeine Wildschweinjagd hoch im Kurs steht, wird die Impf-Frage wenig thematisiert. Kombinierte Impf- und Jagdstrategien für Wildschweine, abgestimmt auf jedes Revier, wie sie das deutsche Landwirtschaftsministerium empfiehlt, hält die Luxemburger Forstverwaltung für personell kaum machbar. Eine Impfung der Hausschweine schließt Veterinäramtsleiter Besch mit Verweis auf europäische Bestimmungen aus. 1992 wurde europaweit ein neuer Begriff von Tiergesundheit eingeführt. Nur solche Tiere gelten seitdem als gesund, die frei von Seuchenviren sind. Impfen und Heilversuche wurden verboten, erkrankte Tiere müs-sen seitdem getötet und "unschädlich beseitigt" werden. Impfen ist nur noch in Ausnahmefällen zur Eindämmung einer schon ausgebrochenen Seuche und nach Zustimmung des ständigen EU-Veterinärausschus-ses erlaubt. Das hat allein handelspolitische Gründe. Impfstoffe gegen Hausschweinpest gibt es seit den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts, aber geimpfte Tiere können Viren aus-scheiden, obwohl sie selbst immun geworden sind. Weil das den Export von Fleisch und Zuchttieren nach den USA oder Japan behindert, beschloss die EU die neue, Eradication genannte, Strategie. Doch die, das haben die jüngsten, noch immer nicht ganz ausgestandenenen BSE- und MKS-Krisen gezeigt, führt bei fortschreitender Globalisierung und angesichts des freien Waren- und Personenverkehrs innerhalb der EU, die Seuchenfreiheit zur Illusion machen, notwendigerweise zu Massentötungen befallener Tiere.

Luxemburg müsse sich seinen Ruf als seuchenfrei möglichst erhalten, ist die Position des Landwirtschaftsministeriums dazu. Was nicht restlos verständlich ist, da 30 bis 40 Prozent seines Schweinefleischbedarfs importiert werden müssen und das neue Agrargesetz die Diversifizierung in Richtung schweinehaltender Betriebe fördert. Impfverzicht hält zwar die EU-Landwirtschaft fit für den Weltmarkt, womöglich aber mit nur wenigen Luxemburger Schweineproduzenten. Sollte die Seuche fortschreiten, stellt sich dafür um so stärker die Kostenfrage: In Deutschland, rechnete Die Zeit im Frühjahr 2001 vor, wurden während der zwischen 1993 und 1996 weiträumig grassierenden Schweinepest 1,3 Milliarden Mark für Tötung und Entsorgung der Tiere ausgegeben. Eine Impfung der gefährdeten Hausschweine hätte nur 50 Millionen gekostet.

Für Luxemburgs Bauern ist die jetzt gewählte Lösung daher nicht die beste, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie symbolisch bleibt. Eugène Berger bilanziert, die 1999 vom Umweltministerium eingeführten Abschussprämien für junge Wildschweine zwischen 800 und 2 000 Franken hätten "nicht viel gebracht"; der Regierungsrat wird heute wohl auch über den Vorschlag der Bauernzentrale, sie auf 150 Euro zu erhöhen, befinden. Dass Camille Studer, Präsident der Jägerföderation, in den letzten Tagen mehrfach erklärte, die Jäger täten genug, deutet allerdings darauf hin, dass man an einer drastischen Dezimierung des Wildschweinbestands nicht interessiert ist: Das Wildschwein ist schließlich eines der herausforderndsten Ziele, das ein Waidmann vor die Flinte kriegen kann.

 

 

Peter Feist
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