Weinbau

Mir wëlle wëssen, wat mer wëllen

d'Lëtzebuerger Land vom 27.12.2001

Irrtümer vom Amt kommen vor, und je mehr Ämter beteiligt sind, desto länger können die Irrtümer sich halten. Da hatte Eurostat, das statistische Amt der Europäischen Kommission, vor zwei Wochen wie üblich die ersten Schätzungen über die Entwicklung der Agrarproduktion und des Einkommens der Landwirte im zu Ende gehenden Jahr veröffentlicht. Für Luxemburg hatten die Prognosen nicht gut ausgesehen. Mit einem geschätzten Einkommensrückgang um 2,4 Prozent lag es an letzter Stelle der EU-15, wo das Einkommen im Schnitt um voraussichtlich 2,7 Prozent wachsen soll. Der wichtigste Faktor für die absehbare Entwicklung nach unten hier zu Lande, hatte Eurostat auf Anfrage mitgeteilt, sei nicht etwa der Preisverfall in der Rinderproduktion aufgrund der BSE-Krise, sondern Produktionsrückgang und Wertverlust im Weinbau (siehe d'Land vom 21. Dezember 2001).

Noch am Vormittag des Heiligabend konnte der Service d'économie rurale (SER) im Landwirtschaftsministerium Positiveres verkünden. Nicht um 2,4, sondern nur um etwa 0,3 Prozent werde sich das Einkommen wohl verringern. BSE habe sich so stark doch nicht ausgewirkt. Den Beitrag des Weinbaus zur Bilanz hat der SER, der Eurostat die Daten liefert, jedoch noch nicht revidiert: Rückgang der Produktion um zehn Prozent, Wertverfall der Produktion um zwölf Prozent. So schlimm kommt's nicht, meint das Weinbauinstitut in Remich dazu. Erstens gilt, dass die Produktion erst abgeschlossen ist, wenn sich der Wein im Fass befindet. Zweitens sei die Erntemenge gestiegen, von rund 132 000 Litern im Jahr 2000 auf knapp 135 000 in diesem Jahr, was einem Plus um 2,3 Prozent entspricht. So sagen es die neuesten Zahlen. Die mit dem Erscheinungsdatum 20. Dezember allerdings so taufrisch sind, dass sie noch niemand weiter verarbeitet hat. Vielleicht war am Ende doch alles ein Irrtum, oder es wurde zu vorsichtig geschätzt?

Psychologische Aufmunterung durch günstige Statistikdaten hat die Branche nötig. Zwar gab es im Kulturjahr 2000/2001 keinen derart feuchten Sommer wie im Jahr zuvor, auch nicht die starken Hagelschläge. 135 000 Liter aber sind noch immer weit entfernt von dem, was man im Weinbauinsitut als "gutes Jahr" bezeichnet; sonst, sagt Institutsdirektor Raymond Weydert, hätte der Ertrag schon bei 150 000 Litern liegen müssen.

Vor allem jedoch ist der Absatz der Kreszenzen, die das Herkunftslabel Moselle luxembourgeoise tragen, nach wie vor nicht zufriedenstellend. 63,5 Liter Wein tranken die Luxemburger pro Kopf im Weinjahr 2000, resümiert das Remicher Institut, mit 20 Litern aber nur zu knapp einem Drittel Weißweine aus heimischer Gärung. Zwar waren es im Jahr zuvor nur 18 Pro-Kopf-Liter gewesen. Ob sich dahinter eine Trendwende verbirgt, müssen die kommenden Jahre zeigen. 1990 hatten Luxemburger Sorten noch dominiert, mit 31 Litern bei einem Gesamtverbrauch von 58 Litern pro Kopf, danach ging es stetig bergab.

"Dringenden Handlungsbedarf" hatte der Winzerverband im Januar 2000 in seiner Mitgliederzeitschrift De Lëtzebuerger Wënzer angemahnt. Es könne doch nicht sein, dass der Weinkonsum innerhalb von zehn Jahren um vier Liter stieg, die Bevölkerungszahl um  40 000 wuchs, der Markt also größer wurde, der Verbrauch Luxemburger Weine jedoch um 42 Prozent abgenommen hat. Während gleichzeitig der von ausländischen Rot- und Rosé-Weinen um 23 Prozent stieg und der von ausländischen Weißweinen sich gar verfünffachte.

An Qualität dürfte es den Rebsäften von der Mosel nicht mangeln. Auf internationalen Messen und Verkostungen schneiden sie seit Jahren gut ab. Allein in diesem Jahr gab es 29 Gold-, 54 Silber- und eine Bronzemedaille, errungen auf den Vinalies internationales des oenologues de France in Paris, dem Riesling du Monde in Colmar, dem Mondial du Vin in Brüssel, dem Internationalen Weinpreis in Neustadt/Weinstraße. Zwei Luxemburger Sorten haben einen "Coup de coeur" im Guide Hachette des Vins 2002 erhalten, fünf Sorten drei Sterne, sieben zwei Sterne, zehn einen Stern, 21 weitere werden lobend erwähnt. Die Liste ließe sich noch fortsetzen.

Dass es allerdings ein ernsthaftes Marketingproblem gibt, darauf hatte schon vor drei Jahren eine Studie von Pricewaterhouse hingewiesen. Fazit: Nicht nur die drei Hauptakteure in der Branche - Handel, Winzergenossenschaften und Privatwinzer - träten nicht geschlossen auf, auch untereinander würde zuwenig an einem Strang gezogen. Was selbst lobenswerteste Qualitätsanstrengungen konterkariere und sie nicht ausreichend zum Verkauf gelangen lasse.

Konsequenz aus dieser Kritik sollte die Gründung einer Association interprofessionelle sein. Eine globale Vermarktungsstrategie für Luxemburger Weine sollte her. Noch immer aber gibt es diese Organisation nicht. Am 8. Januar trifft sich Robert Ley, Generalsekretär der Landwirtschaftskammer und Vermittler in der Angelegenheit, erneut mit allen Beteiligten: "Um zum letzten Mal zu hören, ob man diese Vereinigung wirklich will." Vor allem Vinsmoselle, die größte Erzeuger- und Vertriebsgenossenschaft, und die Weinhändler lägen noch immer überkreuz.

Nicht zuletzt diese beiden Seiten könnten jedoch Wichtiges zur Lösung des Problems beitragen. Dem Handel kann es zwar nur recht sein, wenn er die so genannten "exotischen" Sorten aus den im EU-Jargon "neue Länder" genannten Australien, USA, Chile oder Südafrika immer günstig absetzen kann. Er könnte jedoch Impulse für die Diversifizierung der heimischen Produktion liefern, meint der studierte Oenologe Ley. Originelle Nischenprodukte seien im Kommen, bilanziert Weinbau-Institutsdirektor Weydert, aber erst seit Anfang 2001 ist nach einem großherzoglichen Reglement auch die Herstellung von Spätlese, von vins de glace und von vins de paille möglich. Wie man eine Sorte erfolgreich vermarktet, weiß andererseits kaum jemand besser als Vinsmoselle, die vor zehn Jahren den Luxemburger Crémant lancierte und zu einer wahren Erfolgsgeschichte machte. Zwar hatte man seinerzeit schlauerweise ein in Frankreich entwickeltes Crémant-Reglement übernommen, das ähnlich streng verfasst war wie das für Champagner, und ließ es in Luxemburger Recht übertragen. Worauf die EU-Kommission vorübergehend dekretierte, nur Frankreich und Luxemburg dürften Crémant anbieten, was dem Produkt der Vinsmoselle zu einem wichtigen Marktvorteil verhalf. Begleitet aber wurde die Einführung des Crémant durch einen Werbefeldzug, der andauert, und der im Weinbauinstitut als ausschlaggebend für den Verkaufserfolg angesehen wird. Und während der Export jener Sorten, die laut Gesetz als Qualitätsweine gelten - sämtliche außer Rivaner und Elbling - in den letzten beiden Weinjahren stagnierte, legte die Ausfuhr von Crémant um 57 Prozent zu. Welche Entwicklungspotenziale es im Export noch gibt, mag allein die Tatsache illustrieren, dass nach Belgien, das seit Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion Hauptimporteur Luxemburger Weine ist und auf das im letzten Jahr 88 Prozent der Exporte entfielen, zu zwei Dritteln die Tafelweinsorten Elbling und Rivaner verkauft wurden. "Plutôt bas de gamme", wird im Weinbauinstitut bedauert - wächst in den Weinbergen im Großherzogtum doch der Anteil der edleren Traubensorten, hat sich die Anbaufläche von Auxerrois, Pinot gris und Pinot blanc seit 1996 mehr als verdoppelt und nimmt heute 35 Prozent ein, plus 13 Prozent Riesling, plus fünf Prozent Pinot noir.

Und schon bangt das Landwirtschaftsministerium, dass sich vor allem die Anbaufläche für den guten alten Elbling von gegenwärtig nur noch zwölf Prozent nicht noch weiter verkleinern möge, "vu que l'Elbling est un cépage typique bien adapté à notre région et qu'il se réjouit d'une clientèle fidèle parmi les consommateurs luxembour-geois", schrieb es in seinem Jahresbericht 2000.

Welchen Stellenwert die verschiedenen Sorten in der Produktion erhalten sollen, ist allerdings wiederum eine Marketingfrage. Im Selbstlauf weist der Trend auf einen steten Rückgang von Elbling und Rivaner, auf die im Jahr 2000 noch 50 Prozent der Erntemenge entfielen; zehn Jahre vorher waren es noch 69 Prozent gewesen. Gleichzeitig schreitet der Konzentrationsprozess in der Branche wie im gesamten Agrarsektor fort: die bewirtschaftete Rebfläche ging von 1 402 Hektar im Jahre 1994 auf 1 309 im Jahr 2000 zurück, die Zahl der Betriebe zwischen 1990 und 2000 um knapp ein Drittel. Von insgesamt 580 Betrieben bewirtschafteten Ende letzten Jahres 403 nur ein Fünftel der gesamten Rebfläche. Von Betrieben dieser Größenordnung gaben im vergangenen Jahr 18 die Arbeit auf. Von den großen, die unter sich 80 Prozent des Anbaus aufteilen, lediglich zwei.

Ob Konzentration, Rationalisierung und Bevorzugung edlerer Sorten die Nachfrage auf dem heimischen wie dem ausländischen Markt beleben können, fragt sich allerdings. Die Verkaufssteigerung Luxemburger Weißweine sei mit Vorsicht zu genießen, notierte das Landwirtschaftsministerium, sei darin doch zu einem Teil ein Produktionsüberschuss aus dem Jahr 2000 enthalten, der nach dem schlechten Weinjahr 1999 die Herstellung von Schaumwein ohne Herkunftslabel decken half. Außerdem habe sich das Millenium-trunkene Volk am Sylvesterabend 2000 eventuell stärker alkoholisiert als üblich und dabei auch mehr heimische Sorten genossen.

Landwirtschaftkammer und Weinbauinstitut sehen Marketing indes-sen in einem größeren Rahmen als in reinen Werbekampagnen. Wenngleich man, sagt Raymond Weydert, von Ländern wie Australien oder den USA lernen könne, deren Produzenten 25 Prozent ihres Jahres-etats in Werbung investieren. Wie hoch der Anteil in Luxemburg ist, wisse niemand. Für bedenkens-, wenn nicht gar nachahmenswert wird im Institut jedoch ein Beispiel aus dem österreichischen Burgenland gehalten: Diese traditionelle Weinbauregion habe es verstanden, sich als Erzeugerstandort von Weinen zu verkaufen, die sehr gut und teuer sind. Vor allem unter der aufstiegsorientierten Jugend sei der Genuss teuren Burgenländer Weines mittlerweile zur Stilfrage geworden.

Jeder wie auch immer gearteten Imagebildung für das Anbaugebiet steht freilich die Realität an der Mo-sel entgegen. Kaum eine Region, weiß die Landwirtschaftskammer, tue sich schwerer mit dem viel beschworenen Développement rural, das im Sinne der ebenso viel zitierten "Nachhaltigkeit" Umstrukturierungen der Agrarproduktion durch Ansiedlung neuer Gewerbe und nicht zuletzt durch Initiativen im Tourismusmarketing abfedern soll. Da seien auch die Gemeinden gefragt, findet Raymond Weydert; die im Weinbauinstitut mit ihren Vertretern und dem verantwortlichen Ministeriumsbeamten für das Développement rural geführten Ge-spräche seien bislang aber ergebnislos verlaufen.

Derweil tut der Landwirtschaftsminister, was er stets tut, um seine Landwirte zu beruhigen: in Brüssel ein Maximum an Beihilfen herausschlagen. Hartnäckige Verhandlungen führe er für die Weinbauern, erklärte Fernand Boden zuletzt Ende November vor der CSV-Regionalversammlung in Grevenmacher, auf der über die Rebsaftproduktion gesprochen wurde.

Doch hohe Beihilfen sind nur Begleitmusik für einen Schrumpfungsprozess, der zwar zur Rationalisierung führt, sich jedoch fatal auswirken dürfte, wenn er weiter unkontrolliert verläuft.

 

Peter Feist
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