Binge Watching

Der Klang des Kummers

d'Lëtzebuerger Land du 16.07.2021

Barry Jenkins hat mit seinem oscarprämierten Moonlight (2016) das Leben eines homosexuellen Afroamerikaners, der in Miami in Armut aufwächst, mit großer Sensibilität bebildert. Diese Feinfühligkeit, die die Verfilmung des Theaterstücks auszeichnet, lässt er auch in The Underground Railroad spürbar werden, eine Adaption von Colson Whiteheads gleichnamigem Roman. Der zentrale Schauplatz der Serie ist zu Beginn eine Sklavenplantage in den amerikanischen Südstaaten, der Bürgerkrieg liegt noch in weiter Ferne. Die schwarze Sklavin Cora (Thuso Mbedu) wurde von ihrer Mutter Mabel (Sheila Atim) auf der Plantage alleingelassen, als diese die Flucht gen Norden anstrebte. Die Grausamkeit des neuen Plantagenbesitzers lässt Cora nun selbst die Flucht antreten, mit dem Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) dicht auf ihren Fersen. Zusammen mit Caesar (Aaron Pierre) begibt sie sich auf die sogenannte Underground Railroad. Dieser ehemalige Fluchtweg wurde hauptsächlich von weißen Familien gestiftet, die die entlaufenen Sklaven in ihrem Haus aufnahmen und sie so unbemerkt aus dem Süden schafften.

Jenkins legt den Romantitel in seiner Serie buchstäblich aus: Hier gibt es tatsächlich ein unterirdisches Tunnelsystem, durch das eine Lokomotive den Weg in die Freiheit bietet. Es ist ein überdeutliches Zeichen dafür, dass die Serie metaphorisch gelesen werden will und an keiner historisch authentischen Rekonstruktion der Gegebenheiten interessiert ist. Der Weg in die Freiheit und in die Gleichberechtigung ist niemals eben und verläuft nicht in geraden Linien. The Underground Railroad schildert so eine Reise, eine Bewegung nach vorn, und ist deshalb auch mehr ein Stationendrama als eine Charakterstudie. So gestaltet sich mithin auch die dramaturgische Struktur der Serie: Jede Folge erzählt von neuen Erfahrungen an neuen Orten, von South Carolina bis nach Indiana. Cora erkennt auf ihrer Reise die unterschiedlichsten Facetten des Hasses, bei all diesen Begegnungen scheint der Rassismus konstant: mal offen, mal zurückgenommener, aber immer präsent, ja er wird in diesen Vereinigten Staaten von Amerika beständig kultiviert. Die Abgründe tuen sich bezeichnenderweise oberhalb auf, nicht im Untergrund. Dahin deutet auch die übersteigert-irreale Dimension des fiktionalen Erzählstoffes hin: Das untergründige Schienennetzwerk mit seiner Dampflok, seinen Bahnhofshallen und seinen Schaffnern mag in seiner Überzeichnung als Hinweis dafür stehen, dass es keinen wirklichen Schutz gibt in diesem System der rassistischen Unterdrückung. In Griffith beispielsweise, einem liberalen Städtchen in South Carolina, werden Cora und Caesar vorerst herzlich aufgenommen, man verspricht ihnen Bildung und Wohlstand, doch bald schon wird dahinter der medizinische Wahn zur Sterilisation der Afroamerikaner erkennbar, ein Bestreben das auf die Kontrolle ausgelegt ist, nicht auf die freiheitliche Entfaltung des Individuums. Aus derlei Kontrasten bezieht The Underground Railroad seine subversive Kraft, plötzlich geht da sogar von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, aus der zitiert wird, eine Bedeutungsleere aus.

Mehr noch als die äußere Bedrohung ist die Landschaft in The Underground Railroad das Element, das eine Einheit schafft, auf eine Weise, die man nur in Ermangelung eines besser verständlichen Wortes „berauschend“ nennen kann. Die Bilder sind von einer betörenden, aber deshalb nicht minder verstörenden Schönheit. Oft im natürlichen Gegenlicht gefilmt, werden diese Szenen der brutalsten Folter, der brennenden Körper, geradezu ins Grotesk-Schöne überhöht. Der britische Filmemacher Steve McQueen hat mit 12 Years a Slave (2013) wirksame Bilder gefunden, um die Brutalität der Sklavenhaltung in all ihrer Schönheit nicht widersprüchlich erscheinen zu lassen, indem er sie auf die Autobiografie des freien Afroamerikaners Solomon Northup basierte. „Wenn ich Ihnen meinen Kummer gebe, lassen Sie ihn schön klingen?“, fragt denn auch Cora einen Dichter. Barry Jenkins schließt sich mit The Underground Railroad seinem Kollegen Steve McQueen an.

Marc Trappendreher
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