Das Projekt für das Datenzentrum ist besser akzeptiert als Fages Joghurtfabrik es war. Dabei wirft es ähnliche Probleme auf und die Genehmigungsprozedur hat noch nicht begonnen

Und jetzt auch Google?

Server in einem Datenzentrum
Photo: Patrick Galbats
d'Lëtzebuerger Land du 02.10.2020

Einen Computer hat heutzutage beinahe jeder ab einem bestimmten Alter – und wenn es ein Smartphone ist oder gerade ein solches. Die Zahl der Internetanschlüsse pro Kopf der Bevölkerung ist hierzulande die zweithöchste in Europa nach den Niederlanden, und im Corona-Lockdown war das Streaming von Filmen und Serien eine besonders beliebte Freizeitbeschäftigung. Gar nicht zu reden davon, dass Luxemburg ein IT-Standort ist, und dass der sich weiter profilieren soll, beschlossene Sache.

Lauter Gedanken, auf die kommen konnte, wer am Donnerstagabend vergangener Woche im „Kloertext“ von RTL Télé Lëtzebuerg LSAP-Wirtschaftsminister Franz Fayot sagen hörte: „Google ist anders gelagert.“ Vier Tage zuvor hatte Fage International plötzlich seine Pläne aufgegeben, zwischen Bettemburg und Düdelingen eine große Joghurtfabrik zu bauen. Im Gegensatz zu diesem Vorhaben sei, so der Wirtschaftsminister im Fernsehen, „jeder einverstanden“, dass das Datenzentrum „in unsere Wirtschaftsstruktur passt“.

Parteipolitisch ist die Google-Serverfarm tatsächlich kein Konfliktstoff. Die größte Oppositionspartei hatte eine Zeitlang die Rolle der besonders auf Transparenz bedachten Kraft übernommen: Als der Bissener Gemeinderat sich anschickte, den kommunalen Flächennutzungsplans (PAG) zu ändern und die 30 Hektar, die Google für den Bau des Datenzentrums erworben hat, in eine Spezialzone umzuwidmen, schlugen die lokalpolitischen Wellen eine Zeitlang hoch; die CSV war mittendrin. Beruhigen konnte sie noch Fayots Vorgänger Etienne Schneider, der das Projekt mit Google angebahnt hatte. Ehe er im Februar aus dem Amt schied, setzte er sich noch für einen politischen Konsens mit der CSV ein. Und dafür, dass nicht zuletzt ihretwegen in einer vertraulichen Sitzung des parlamentarischen Wirtschaftsausschusses das Memorandum of Understanding zwischen Regierung, Gemeinde Bissen und Google von den Abgeordneten gelesen werden durfte.

Die Koalitionspartner von den Grünen haben das Datenzentrum nie in Frage gestellt. Weder hat Umweltministerin Carole Dieschbourg dessen Kühlwasserbedarf für zu hoch erklärt, noch Energieminister Claude Turmes dessen Strombedarf. Schon als unter der vorigen Regierung Etienne Schneider ankündigte, die Serverfarm werde mehr Strom verbrauchen als alle Elektroöfen von Arcelor-Mittal in Luxemburg zusammengenommen, kommentierte der damalige grüne Umweltstaatssekretär Camille Gira, Datenzentren seien nun mal „die neue Industrie“.

Doch nach dem Rückzug von Fage International von seinem Vorhaben, in der Industriezone Wolser 1 eine Molkerei zu errichten, 300 Millionen Euro zu investieren und in Etappen bis zu 300 Jobs zu schaffen, scheint in Industriekreisen und im Wirtschaftsministerium eine gewisse Sorge umzugehen, dass auch aus das Datenzentrum kippen könnte. „Ich möchte davor warnen, auch dieses Projekt zu zerreden“, sagte Franz Fayot vergangene Woche auf RTL. Vielleicht wird im Wirtschaftsministerium diese Gefahr schon darin gesehen, auf die Frage zu antworten, wie intensiv man mit Google im Austausch steht: Die Presseverantwortlichen des Ministeriums teilen dazu nichts mit. Bei der Innovationsagentur Luxinnovation, dem verlängerten Arm des Ministeriums zum Ausreichen von Innovationsbeihilfen, will der Manager des ICT-Clusters, Jean-Paul Hengen, nicht einfach am Telefon darüber reflektieren, wie das Datenzentrum zur Wirtschaftsstruktur des Landes passt und welche Industrien davon besonders profitieren könnten: Er müsse mit der Kommunikationsabteilung erörtern, was dazu zu sagen sei. Bis zum Redaktionsschluss dieses Artikels war von dort nichts zu vernehmen.
René Winkin, der Direktor des Industriellenverbands Fedil, sagt dem Land, „auch das Dossier Google riskiert, lange zu dauern“. Dann könnte sich die Frage stellen, „wie viel Geduld und welche Vorstellungen der Investor hat“. Im Moment will Winkin darüber nicht spekulieren. „Mir liegen keine Anzeichen vor, dass Google weniger Geduld haben könnte.“ Die Fedil stehe mit dem Konzern aus Kalifornien zwar nicht direkt in Kontakt, aber über „Leute, die uns nahestehen und die auch dem Projekt nahestehen“.

Datenzentren gibt es schon einige in Luxemburg. Sogar besonders gut abgesicherte: Die Impulse, diese Infrasturktur aufzubauen und auszubauen, gingen wesentlich auf die Finanzbranche zurück. Das Google-Zentrum wäre aber das mit Abstand größte. Wegen des absehbar hohen Stromverbrauchs beschäftigt das Projekt das Energieministerium stark. Von dort heißt es, erst vor kurzem habe wieder ein Treffen mit Google stattgefunden. Der Austausch mit dem Konzern sei konstruktiv. Alle Probleme, die sich im Energiebereich stellen könnten, halte man für „lösbar“.

Minister Claude Turmes hat bisher stets betont, dafür sorgen zu wollen, dass das Datenzentrum besonders effizient werde und vollständig mit grünem Strom betrieben. Auf RTL mit Franz Fayot letzte Woche ließ Turmes nicht einen Moment lang zu, dass der Eindruck aufkommen konnte, die beiden zögen nicht am selben Strang.

Dabei wirft das Projekt von Google ähnliche Probleme auf wie das von Fage. Beide trieb Etienne Schneider besonders voran. Während er an Fage den sehr unüblichen Verkauf einer staatlichen Fläche in einer Industriezone veranlasste, obendrein noch ehe die Genehmigungsprozeduren begonnen hatten, sorgte er im Falle des Datenzentrums dafür, dass 30 Hektar zusammenhängender Fläche in der Nähe einer Hochspannungs-Umspannstation aufgetrieben werden konnten, die Google anschließend kaufte. Im Fernsehen schwärmte er im Juli 2017, das Zentrum werde so viel Strom brauchen, „dass für uns alle die Preise sinken“. Als die Fläche bei Bissen zusammengekratzt war, der einzige zögerliche Grundstückseigentümer nachgegeben hatte, hörte Schneider auf, vom Stromverbrauch zu reden und sein Energiekommissar Tom Eischen wollte sie nie auf 2,48 Terrawattstunden im Jahr veranschlagt haben. Zum Vergleich: 2016 verbrauchten alle Haushalte und Kleingewerbe 0,9 Terrawattstunden, Arcelor-Mittals Stahlöfen zwei Terrawattstunden, ganz Luxemburg rund sechseinhalb.

Die Genehmigungsprozeduren zur Serverfarm haben ebenfalls noch nicht begonnen. Nur die Umwidmung der Fläche in eine „Spezialzone“ im PAG der Gemeinde Bissen ist gelaufen. Mitte dieses Monats, sagte Bürgermeister David Viaggi am Dienstag der Luxembourg Times, könne der Gemeinderat voraussichtlich den Teilbebauungsplan (PAP) zum Datenzentrum gutheißen. Der aber wird nur Gebäudehöhen oder Straßenverläufe regeln, aber nichts über Wasser- und Stromverbrauch entscheiden. Das geschieht erst in der Genehmigungsprozedur, die Google selber einleiten müsste. Dann würde zuerst die Umweltverträglichkeitsprüfung für die Flächenumwidmung erfolgen, anschließend oder parallel dazu das „Kommodo-Verfahren“, bei dem es um die Betriebsgenehmigung geht. Und schließlich noch eine wasserrechtliche Prüfung sowie eine Naturschutzprüfung auf eventuell gefährdete Biotope.

Wem es seltsam vorkommt, dass eine Gemeinde eine Fläche einem bestimmten Zweck zuführt und konkretere Bauten-Parameter absegnet, aber staatliche Verwaltungen all dies später wieder kippen könnten, versteht vielleicht ein wenig die Vehemenz, mit der der Mouvement écologique vor dem Verwaltunsgericht die Umwidmung der Fläche im Bissener PAG anficht. Der Umweltverband sieht ein Prinzip verletzt: Jede PAG-Änderung wird vom Innenministerium geprüft. Ministerin Taina Bofferding (LSAP) aber, so die Präsidentin des Mouvement écologique, Blanche Weber, habe erklärt, sie sei nicht zuständig, um über ökologische Erwägungen zu befinden. Nämlich, ob zur PAG-Änderung in Bissen volle Klarheit über Stromverbrauch und Kühlwasserbedarf des Datenzentrums hätte herrschen müssen. Für den Mouvement ist das „eine ungeheuerliche Aussage“, denn das Innenministerium prüfe jede PAG-Änderung auch in ökologischer Hinsicht. „Die Argumente der Innenministerin kommen für uns einer Missachtung des Rechtsstaats gleich. Da hört das gesamte System auf, seiner Verantwortung nachzukommen. Das hat uns extrem wütend gemacht.“

Oder die Frage nach dem Kühlwasser: Dass ein derart großer Stromverbraucher einen enormen Kühlungsbedarf haben muss, ist simple Physik. Wie hoch der Bedarf sein könnte und sein dürfte, wurde öffentlich noch nie gesagt; der Mouvement écologique wollte vergangenes Jahr erfahren haben, es könnte ein Zehntel des gesamten Trinkwassers im Lande sein. „Dieser Zahl hat bis heute niemand widersprochen!“, unterstreicht Blanche Weber. Und verlangt Klarheit über den „Ressourcenverbrauch“, noch ehe die Genehmigungsprozedur beginnt. Denn die aktuelle Luxemburger Gesetzgebung schreibe einem Investor nur vor, die „beste verfügbare Technologie“ einzusetzen. Es könne aber sein, dass das „nicht reicht“, behauptet die Mouvement-Präsidentin.

Dass die Gerichtsklage gegen die Umwidmung der Fläche noch anhängig ist und der Mouvement écologique in einer zweiten Klage Einsicht in das vertrauliche Memorandum of Understanding verlangt, dürfte ein Grund für die gewisse Beunruhigung in Ministerien und bei der Fedil sein, auch wenn das niemand so sagt. Und es könnte sich in Bissen womöglich erneut lokaler Widerstand regen; gegen die PAG-Änderung gab es 170 Bürgereinwände. Während der Genehmigungsprozedur ist es nicht nur möglich, Einwände zu machen, sondern auch zu klagen.

Dabei wurde, wie aus Regierungskreisen zu vernehmen ist, im Laufe der interministeriellen Abstimmung mit Google das Projekt Datenzentrum in mehrfacher Hinsicht hinterfragt, verbessert oder es wird nach Verbesserungen gesucht. Dass Google zum Betrieb der Anlage ausschließlich erneuerbar erzeugten Strom nutzt, sei noch nicht vorgesehen gewesen, als Etienne Schneider das Vorhaben anbahnen half, bemerkte der Fedil-Direktor vergangene Woche. Das handelte erst Claude Turmes mit Google aus. Zu klären bleibt noch, inwieweit Google auch in Luxemburg grünen Strom produzieren lässt. Das ist deshalb so wichtig, weil nur daheim erzeugter Strom garantiert der Luxemburger Klimabilanz gutgeschrieben wird. Kauft Google grünen Strom im Ausland, ist das nicht so sicher.

Diskussionen gab und gibt es um die Wasserfrage: Trinkwasser soll Google zum Kühlen der Anlage nicht nutzen. Woraufhin der Internetkonzern mit seinen Ingenieurbüros unter anderem eine Wasserentnahme aus der Atert prüfte, aber verwarf, weil das den Fluss zu stark beansprucht hätte. Zurzeit wird über Nutzung von Alzette-Wasser nachgedacht. Claude Turmes verlangt von Google neben hoher Energieeffizienz auch innovative Kühlkonzepte in der Serverfarm.

Ob technische Lösungen schnell genug gefunden werden, könnte am Ende darüber entscheiden, ob auch das Google-Projekt doch in die Mühlen der Politik gerät. Dass ein „Nachhaltigkeitscheck“ für industrielle Neuansiedlungen eingeführt werden soll, steht immerhin im Koalitionsprogramm der Regierung. Zumindest die Grünen wünschen sich in Zukunft nur noch „Rifkin-konforme“ neue Industriebetriebe, was immer das genau sein soll. Dass Diskussionen aufkommen, im Laufe derer sich auch die Prozeduren um das Datenzentrum in die Länge ziehen, scheint nicht ausgeschlossen.

Wissen müsse man, sagt der Fedil-Direktor: „Investoren aus der Industrie sind im Allgemeinen bereit, sich noch mal neu zu orientieren. Sie suchen vielleicht auch noch mal das Gespräch mit Herrn Fayot. Aber wenn sich dann nichts tut, dann war es das, dann kommt der nächste Standort.“ Geschähe das mit Google, „dann wäre das ein schwerer Schlag für unsere Glaubwürdigkeit“.

Peter Feist
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