Auszug aus dem Elternhaus, Berufsanfang, Selbstständigkeit? An der Universität wird zu den Übergängen ins Erwachsenendasein geforscht

Déi éischt Wäschmaschinn

d'Lëtzebuerger Land vom 28.04.2023

Wann ist man erwachsen? Auf diese Frage hat ein Jugendlicher im Rahmen einer Studie der Universität Luxemburg folgende Antwort gegeben: „Et gëtt e Mëttel fir ze mierken, wéini een erwuessen ass, a wéini net, an dat ass, wann een déi éischt Wäschmaschinn kritt. An ech hunn eng“, und stellt mit dieser Umschreibung des Erwachsenwerdens auf anschauliche Art und Weise die Erreichung von Autonomie in den Vordergrund. Die wissenschaftliche Betrachtung und die Sichtweise von Jugendlichen stimmen also weitgehend überein, was Erwachsensein bedeutet: ein selbständiges Leben zu führen, die damit einhergehenden Veränderungen zu bewältigen und Verantwortung zu übernehmen. Doch dieser Status wird nicht von heute auf morgen erreicht, es braucht eine gewisse Zeit, diesen Übergang, also die Transition vom Jugendlichen zum Erwachsenen, zu vollziehen. Der amerikanische Psychologe Arnett hat mit dem Begriff emerging adulthood (Erwachsenwerden) die Zeitspanne zwischen Jugend und Erwachsensein bezeichnet, die sich aufgrund des wirtschaftlichen Wandels, der Ausdehnung der Ausbildungszeiten und der Komplexität der Ausbildungswege in vielen westlichen Ländern verlängert hat. Infolgedessen hat sich auch sich auch der Auszug aus dem Elternhaus für einen Teil der Jugendlichen verschoben. Im Jahr 2021 haben 90,3 Prozent der 20 bis 24-Jährigen in Luxemburg noch zu Hause bei den Eltern gewohnt. Von den 25 bis 29-Jährigen sind es laut Eurostat immerhin mehr als ein Drittel dieser Altersklasse. Damit einhergehend fühlen sich viele der 20 bis 29-Jährigen auch dann noch in der Transitionsphase, wenn sie bereits einer Arbeit nachgehen, studieren oder in der Ausbildung sind. Dadurch, dass sie noch zu Hause bei den Eltern wohnen, haben sie nicht das Gefühl, „ganz erwachsen“ zu sein, denn das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Autonomie ist oftmals erst mit der Gründung eines eigenen Haushalts erfüllt.

Übergänge bedeuten Veränderung

Übergänge sind durch Veränderungen gekennzeichnet und die Zeit der Jugend ist mit einschneidenden Veränderungen verbunden. In der Psychologie spricht man somit von einer Transitionsphase, die bezogen auf die Adoleszenz die Bewältigung bestimmter Entwicklungsaufgaben (Havighurst, 1980), wie zum Beispiel die Identitätsentwicklung, beinhaltet und daher mit großen Herausforderungen und Anpassungsleistungen von Seiten des Jugendlichen verbunden ist. Dies ist keine einfache Zeit und auch wenn man nach dem Gesetz mit 18 Jahren volljährig ist, fühlen sich viele der über 18-Jährigen im Alltag noch nicht im Erwachsenendasein angekommen (siehe Jugendbericht 2015). Um sich auf dem Weg zum Erwachsenwerden zu sehen, ist es für viele Jugendliche wichtig, die Schule abgeschlossen oder verlassen zu haben und den Einstieg in die Berufstätigkeit geschafft zu haben. Hierbei handelt es sich jedoch nur um einen von mehreren Teilübergängen, die auch als Transitionsmarker bezeichnet werden (andere sind zum Beispiel der Auszug aus dem Elternhaus oder die Familiengründung).

Erwerbsarbeit hat eine starke Bedeutung

Der Erwerbseinstieg ist für viele Jugendliche einer der wichtigsten Eckpfeiler des Erwachsenwerdens, weil er eine gewisse finanzielle und ökonomische Unabhängigkeit mit sich bringt, die als Voraussetzung für selbstbestimmtes Handeln gilt und damit dazu beiträgt, soziale, wirtschaftliche und auch psychische Unabhängigkeit zu erreichen (Konietzka, 2010). Arbeit ist jedoch nicht nur notwendig, um ökonomische Selbstständigkeit und eine gewisse Planungssicherheit für die persönliche Zukunft zu ermöglichen, Arbeit beinhaltet darüber hinaus weitere wichtige Funktionen: Sie charakterisiert unseren sozialen Status, führt zu geregelten sozialen Kontakten, vermittelt Anerkennung und strukturiert unsere Tages- und auch Lebenszeit. Somit ist es nicht erstaunlich, dass dem Eintritt des Jugendlichen in den Arbeitsmarkt so eine große Bedeutung zuerkannt wird.

Ob der Einstieg in den Arbeitsmarkt jedoch erfolgreich abläuft, hängt neben anderen Faktoren, wie zum Beispiel dem sozioökonomischen Status und der familiären Unterstützung, insbesondere mit dem Bildungsabschluss zusammen. So hat der Zugang zu Bildung nicht nur einen enormen Einfluss auf den Berufseinstieg, sondern auf die gesamte Transition, wobei wiederum der Bildungserfolg, ebenso wie auch Wohlbefinden und Gesundheit, stark mit dem sozioökonomischen Status, also der sozialen Herkunft des Jugendlichen, zusammenhängt. In den letzten Jahren ist das Bildungsniveau der luxemburgischen Bevölkerung stark angestiegen und somit verläuft der Übergang in die Erwerbstätigkeit für viele hochqualifizierte Jugendliche relativ unproblematisch. Für sie stellt die im Bildungssystem erworbene formale Qualifikation die Eintrittskarte in den Arbeitsmarkt dar. Anders dagegen sieht es für Jugendliche ohne oder mit niedrigem Bildungsabschluss aus, für die es oftmals schwierig ist, den Übergang in den Arbeitsmarkt reibungslos zu vollziehen und nicht wenige von ihnen finden sich mehrfach in Unterstützungsmaßnahmen wieder. Vor allem Jugendliche ohne Sekundarschulabschluss durchlaufen häufiger solche „Maßnahmenkarrieren“ und haben geringere Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. So betrug im Februar 2023 laut Eurostat die Arbeitslosenrate der unter 25-Jährigen in Luxemburg 18,8 Prozent.

Phasen der Arbeitslosigkeit, Zeitverträge oder Maßnahmenkarrieren stellen jedoch problematische Situationen für Jugendliche dar, die sich noch mitten in der Identitätsentwicklung befinden. Solche Erlebnisse können sich negativ auf das Selbstkonzept auswirken und lassen sich für einen Teil der Jugendlichen kaum ohne professionelle Unterstützung bewältigen, die ihnen dabei hilft, sich mit Brüchen und Neuorientierungen im Leben auseinanderzusetzen und sich trotz dieser Schwierigkeiten in die Gesellschaft zu integrieren. Aber auch den Jugendlichen, die scheinbar problemlos in den Arbeitsmarkt einsteigen, wird viel abverlangt. Sie müssen sich den an sie gestellten Ansprüchen, wie höheren Bildungsanforderungen, Flexibilisierungserwartungen und Leistungsdruck stellen und lernen damit zurecht zu kommen. Größer werdende Leistungsanforderungen, steigender Konkurrenzdruck und die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen stellen vor allem junge Menschen zu Beginn ihrer Erwerbskarriere vor hohe Anforderungen; diesen gerecht zu werden und sie gleichzeitig in die private Lebenssituation, wie zum Beispiel die Gründung einer Familie oder die Betreuung von Kindern, einzubinden, verlangt von den heutigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Vielfalt von Ressourcen.

Mehr Chancen, mehr Risiken

Zwar haben Jugendliche heutzutage in einem Land wie Luxemburg vielfältige Möglichkeiten, ihre Berufswahl, -wege und -ziele durchaus eigenständig und selbstverantwortlich zu bestimmen. Die Wege dorthin sind jedoch immer weniger vorgezeichnet und tradierte Übergangsmuster verlieren zunehmend an Bedeutung. Es existieren vielfältige Optionen, die den Weg zur Individualisierung weit geöffnet haben. Mehr Möglichkeiten erschweren jedoch oftmals die Entscheidungsfindung. Bieten sich viele Möglichkeiten, sind die Folgen verschiedener Entscheidungen in der Regel weniger bekannt und transparent und damit weniger berechenbar und somit auch risikoreicher. Autonome Entscheidungen zu treffen, bedeutet unter diesen Umständen ein hohes Maß an Eigenverantwortung zu übernehmen, weil im Falle eines Misserfolges zudem nur noch schwerlich extern attribuiert werden kann („Du hattest doch alle Möglichkeiten, warum hast du ausgerechnet diese gewählt“). Inwiefern die Jugendlichen heutzutage mit der Wahlfreiheit, den damit verbundenen Anforderungen der Verantwortungsübernahme auf dem Weg in den Arbeitsmarkt umgehen können, hängt stark von ihren persönlichen Ressourcen ab. Hier spielen ihre kognitiven Fähigkeiten, ihre Motivation, ihre sozialen Kompetenzen, aber auch psychologische Komponenten wie etwa die Selbstwirksamkeitserwartung, das heißt das Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und die Überzeugung, auch schwierige Situationen eigenständig meistern zu können, eine entscheidende Rolle.

Während die Jugendlichen, die über entsprechende familiäre Ressourcen verfügen, den Weg in die Berufstätigkeit oftmals ohne größere Schwierigkeiten meistern können, stellt diese Aufgabe für Jugendliche mit geringem familiärem Rückhalt eine Herausforderung dar, die sie teilweise nicht allein bewältigen können. Positive Beziehungen innerhalb der Familie spielen also eine nicht unerhebliche Rolle. Auch wenn sich ein gutes Verhältnis nur auf ein Elternteil beschränkt, wirkt sich dieses positiv auf den Übergangsverlauf aus und es zeigen sich mehrheitlich unkomplizierte Transitionen, das heißt der Weg vom Bildungssystem in die Arbeitswelt verläuft relativ zielstrebig und geradlinig. Darunter fallen gleichwohl auch Transitionen, bei denen eher Umwege und eine individuelle und kreative Struktur zu beobachten sind, die jedoch letztendlich trotzdem zu einer erfolgreichen Bewältigung der Transition führen. Jugendliche, denen die Transition in die Berufswelt nicht ohne Unterstützung gelingt, müssen jedoch nicht selten mit Misserfolgen und negativen Auswirkungen ihrer beruflichen Lage auf ihre Psyche und ihr Wohlbefinden kämpfen. Das Fehlen eines geregelten Tagesablaufes, finanzielle Schwierigkeiten, der Verlust des Selbstvertrauens und die eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sind für Jugendliche nur schwer zu bewältigen. Jugendliche, die es nicht schaffen, die Transition in Arbeit zu vollziehen, erleiden somit bereits in jungen Jahren Scheiter- und Frustrationserfahrungen, die gravierende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben können und so nicht selten zu einer frühen sozialen Exklusion führen können. So waren im Jahr 2021 laut Eurostat in Luxemburg 28,3 Prozent aller Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren von Armut und sozialer Exklusion bedroht.

Auch wenn Erwachsenwerden eine sehr individuelle Erfahrung darstellt und zu unterschiedlichen Zeitpunkten einsetzt, spielt der klassische Transitionsmarker „Einstieg in die Arbeitswelt“ für viele Jugendliche immer noch eine entscheidende Rolle. Auch wenn die Welt sich immer schneller verändert und der Jugendlichkeit eine immer stärker werdende positive Bedeutung zuerkannt wird, erfahren die Transition in Arbeit und die damit einhergehenden Erwartungen der Gesellschaft von der überwiegenden Mehrheit der Jugendlichen große Zustimmung und stellen deshalb für den einzelnen Jugendlichen auch eine besondere Herausforderung dar, deren Bewältigung oder Nichtbewältigung starke Auswirkungen auf das psychische Befinden, die Identitätsentwicklung und das Zutrauen in sich selbst hat. Der Übergang in Arbeit kann unterschiedlich erfolgreich und durchaus unterschiedlich gradlinig verlaufen, aber jeder Jugendliche in Luxemburg sollte die Chance und die individuell benötigte Unterstützung bekommen, die er braucht, um diesen Weg schaffen und letztendlich auch eine Waschmaschine sein eigen nennen zu können.

Anette Schumacher ist Psychologin und Postdoctoral Researcher am Zentrum für Kindheits und Jugendforschung (CCY) an der Universität Luxemburg

Anette Schumacher
© 2023 d’Lëtzebuerger Land