Kommenden Dienstag könnte das Luxemburger Bezirksgericht entscheiden, dass es bei der Auftragsvergabe zum Large-scale testing nicht mit rechten Dingen zuging

Von der Schnapsidee zur Gerichtsaffäre

d'Lëtzebuerger Land vom 08.10.2021

Es klang toll, was die Regierung am 28. April 2020 versprach, als noch Corona-Notstand und Lockdown herrschten: Bald werde in Luxemburg so viel getestet, wie nirgendwo sonst auf der Welt. Die ganze Bevölkerung ein paar Mal, Grenzpendler auch, jeweils in „Kontingenten“, zum Beispiel nach Berufsgruppen. So könnten Bauarbeiter und Lehrerinnen raus aus dem Confinement und zurück an die Arbeit. „Asymptomatisch“ mit Sars-CoV-2 Infizierte würden sich durch die vielen PCR-Tests ebenfalls aufspüren lassen. Das werde „Infektionsketten“ beizeiten brechen und hoffentlich eine „zweite Welle“ im Sommer 2020 vermeiden. Für die Aktion stelle der Staat 39,5 Millionen Euro bereit.

So wurde vor anderthalb Jahren das Large-scale testing angekündigt. Von LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert, DP-Forschungsminister Claude Meisch und von Ulf Nehrbass, dem Generaldirektor des Luxembourg Institute of Health (LIH). Nehrbass habe am Ursprung der Idee gestanden, mit Thomas Dentzer, Virologe im Gesundheitsamt. Das erzählte Dentzer vor zwei Wochen im Radio 100,7. Eine „Schnapsidee“ sei das gewesen, „nach zwei Gläsern“ bei einem gemeinsamen Abendessen. Anschließend sei sie weiterentwickelt und „vor allem als Forschungsprojekt aufgestellt“ worden. Das LIH sei dabei federführend gewesen. Als man damit schließlich „an die Politik herantrat“, habe die gesagt, „ja, das machen wir!“

Kommenden Dienstag beschäftigt die Schnapsidee und wie sie umgesetzt wurde das Luxemburger Bezirksgericht. Ihm liegt ein Eilantrag des Leudelinger Privatlabors Bionext vor: Das Gericht möge feststellen, dass die Auftragsvergabe für die Tests nicht getreu dem Gesetz über die marchés publics erfolgte. Kommt das Gericht zu diesem Schluss, könnte das weitreichende Folgen haben. Die Klage von Bionext richtet sich zwar vor allem auf die letzten drei Monate des Large-scale testing – jene Zeit bis zum 15. September, als die PCR-Tests gratis allen Bürger/innen ab sechs Jahren offenstanden, so oft sie wollten. Doch weil diese Periode mit allem zusammenhängt, was vorher war, könnte das Gericht die gesamte Unternehmung „LST“ für hinfällig erklären und die Rückzahlung der vom Auftraggeber – in diesem Fall dem Staat – erhaltenen Gelder anordnen. Dass die Klage sich unter anderem gegen den Staat selber richtet, macht sie zu etwas Besonderem.

Die ganze Geschichte der Massentests ist komplex, undurchsichtig und zum Teil abenteuerlich. Zwischen Mai 2020 und Mitte September 2021 wurden im LST insgesamt rund 2,5 Millionen PCR-Tests vorgenommen. Staub wirbelte das Large-scale testing schon als Projekt im Frühjahr 2020 auf. Zunächst interessierte das die Politik; vor allem die CSV, die damit parlamentarische Ausschüsse beschäftigte. Das begann damit, dass reporter.lu am 30. April 2020, nur zwei Tage nach der Pressekonferenz mit Lenert, Meisch und Nehrbass schrieb, die Laboratoires Réunis hätten den Auftrag erhalten und würden dafür eine halbe Million Test-Kits der Firma Fast Track Diagnostics (FTD) benutzen. FTD, ein Unternehmen mit Sitz in Esch/Alzette, war ein Start-up der Laboratoires Réunis gewesen. 2017 wurde es an Siemens Healthineers verkauft.

Später sollte sich herausstellen, dass das Hochkommissariat für nationale Sicherheit (HCPN) die Test-Kits gekauft hatte und sie gratis ans Luxembourg Institute of Health abtrat. Das LIH hatte „den Lead“ für die Organisation der Massentests erhalten. Die Rolle wurde so breit verstanden, dass Mitte Mai 2020 eine Sprecherin der Gesundheitsministerin – Paulette Lenert leitete immerhin mit dem Hochkommissar die Corona-Krisenzelle – Fragen des Land, was genau von wem gekauft wurde, ans LIH weiterverwies (d’Land, 15.5.2020).

„Phase eins“ der Massentests dauerte bis zum 27. August 2020. In 17 über Land verteilten Drive-ins und einer Walk-in-Station in den Bonneweger Rotonden wurden zusammengenommen bis zu 20 000 PCR-Tests pro Tag durchgeführt. Die Teilnahme war freiwillig, das LIH verschickte Einladungen zu den Tests. Zu deren Durchführung hatte das LIH die Laboratoires Réunis ausgewählt. Die wiederum suchten sich Subunternehmer für Teile des Projekts: den internationalen Militärdienstleister Ecolog für Aufbau und Betrieb der Teststationen über Land, sowie Santé Services S.A., eine Tochtergesellschaft der Schuman-Krankenhausstiftung, für Logistik-Leistungen.

Der Bionext-Chef beschwerte sich schon im April 2020 über die Art und Weise der Auftragsvergabe an die Laboratoires Réunis. Die CSV-Fraktion löcherte in den parlamentarischen Ausschüssen bald die Gesundheitsministerin, bald den Forschungsminister weil es keine öffentliche Ausschreibung gegeben hatte. Die Entgegnung der Regierung lautete damals, wegen der Pandemie-Dringlichkeit sei darauf verzichtet worden. Falls das Large-scale testing um eine zweite Phase verlängert würde, werde es aber eine Ausschreibung geben. Garantiert.

Mitte Juli 2020 geschah das auch. Die Ausschreibung enthielt zwei Teile: einen über die Durchführung von bis zu 53 000 PCR-Tests pro Woche, einen zweiten über die Administration der neuen Massentest-Phase. Denn nun sollte nicht mehr das LIH „den Lead“ haben, sondern Gesundheitsministerium und Gesundheitsamt. Beide suchten für die Administration Subunternehmer; gefunden wurden unter anderem an PWC sowie Arendt & Medernach. Der Auftrag für die Tests sei an ein „Konsortium“ gegangen, teilte das Gesundheitsministerium mit. Weil nur dieses Konsortium sich gemeldet habe, sei die Ausschreibung in einen marché négocié umgewandelt worden. Dass das Konsortium aus den Laboratoires Réunis und Ecolog bestand wie in Phase eins, wurde damals nicht gleich gesagt. Der Bionext-Chef meinte vor drei Wochen auf einer Pressekonferenz, die Ausschreibung für die Tests in Phase zwei sei auf die Laboratoires Réunis und Ecolog „detailliert zugeschnitten“ gewesen. Denn unter anderem sollten innerhalb von nur zwei Wochen Testzentren eingerichtet werden. Was den darin schon aktiven Firmen natürlich leicht fiel.

Jean-Luc Dourson erwähnte auf seiner Pressekonferenz auch Seltsamkeiten wie die, dass Militärdienstleister Ecolog mit der Ausschreibung der Stellen für den Betrieb der Teststationen in Phase eins schon im April 2020 begonnen habe. Dabei hätten erst im Monat danach LIH und Laboratoires Réunis zunächst eine Absichtserklärung und dann einen Vertrag über die Tests unterzeichnet, Ecolog demnach nicht schon im April als Subunternehmer ausgewählt worden sein können.

Pikant ist aber auch, dass die PCR-Tests im Large-scale testing die Verwendung der Test-Kits von Fast Track Diagnostics (FTD) implizierten. Politisch wurde über die Massentests durch den Regierungsrat am 24. April 2020 entschieden, da erteilte das Kabinett grünes Licht. Nur einen Tag vorher erhielt Fast Track Diagnostics das europäische CE-Label für seinen Corona-Test-Kit. CE berechtigt zum Einsatz eines Tests auch über „Forschungszwecke“ hinaus. Bei der Validierung der Tests für das CE-Label waren die Laboratoires Réunis ihrer ehemaligen Start-up behilflich, schrieb reporter.lu am 30. April. Der Generaldirektor des LIH bestritt zwei Wochen später dem Land gegenüber, dass die FTD-Kits ausschließlich auf der Laborplattform der Laboratoires Réunis nutzbar seien: Sie seien nicht einmal an „bestimmte Reagenzien“ gebunden, so dass „eindeutig“ jedes der anderen Labors sie ebenfalls einsetzen könne (d’Land, 15.5.2020). Tatsächlich aber sind in den Labors bestimmte Apparate-Ausrüstungen an Kit-Hersteller gebunden. Dem Land vorliegenden Informationen nach konnten die FTD-Tests zum damaligen Zeitpunkt nur die Laboratoires Réunis die FTD-Tests einsetzen, allenfalls noch das Laboratoire national de santé.

Ob die Regierung damit rechnete, dass die Konstruktionen und Begebenheiten um das Large-scale testing vor Gericht verhandelt werden könnten? Vielleicht. Am 11. Juni dieses Jahres berichtete Premier Xavier Bettel (DP) in einem Pressebriefing mit der Gesundheitsministerin, vom 20. Juni an könne jede Person, die ihre zweite Impfdosis noch nicht erhalten hat, über die Webseite covidtesting.lu einen Termin für einen Gratis-PCR-Test im Rahmen des Large-scale testing vereinbaren, und dies so oft sie wolle. Damit werde das LST „transformiert“, so Xavier Bettel. Am 19. Juni präzisierte das Gesundheitsministerium, die Gratis-Tests seien nicht nur für all jene, die noch auf die zweite Impfdosis warten, sondern für alle ab sechs Jahren mit einer Matricule nationale. Noch nicht Geimpften winkten damit nicht nur der Zugang zu Veranstaltungen unter „Covid-Check“, zum Beispeil am Vorabend des Nationalfeiertags, sondern auch leichtere Reisen ins Ausland während der Sommerferien.

Ob Ausschreibungsregeln gebrochen wurden, ist für das Vierteljahr, in dem Gratistests für alle galt, eine besondere Frage, weil bei der Änderung des Testzwecks von einem Dépistage hin zum Gratis-Service womöglich ein neuer Vertrag und eine neue Ausschreibung nötig gewesen wäre. Das ist einer der Punkte, die das Gericht am Dienstag prüfen dürfte.

Eine öffentliche Ausschreibung hatte es für Phase drei des Large-scale testing nicht gegeben. Das Gesundheitsamt hatte bei der Ausschreibungskommission angefragt, ob der Auftrag für Phase drei, die am 25. März 2021 beginnen und am 15. Juli enden sollte, an das gleiche Konsortium vergeben werden könne, das in der damals noch andauernden Phase zwei aktiv war. So könnten die vielen Tests störungsfrei fortgesetzt werden. Angesichts der anhaltenden Covid-Seuche bestehe eine „urgence impérieuse“. Die Ausschreibungskommission gab dem statt, und auch dieser Auftrag ging an die Laboratoires Réunis. Der per Spezialgesetz zugewiesene Finanzierungsrahmen war mit maximal 64,24 Millionen Euro knapp vier Millionen größer als der für Phase zwei.

Die Gesundheitsministerin erreichte am 13. Juni, zwei Tage nachdem der Regierungsrat das Large-scale testing zu «transformieren» beschloss, ein offener Brief von Bionext: Mit staatlichen Geldern einem einzigen Labor zu ermöglichen, Gratistests anzubieten, sei Rechtsbruch, organisierter unlauterer Wettbewerb. Deshalb müssten sämtliche Labors die Möglichkeit erhalten, mit Unterstützung aus der Staatskasse Gratistests anzubieten.

Weil das nicht geschah, erklärte Bionext-Chef Jean-Luc Dourson im September, er werde abgesehen von dem Eilantrag in einer Zivilklage Schadenersatz für die seiner Firma entgangene Möglichkeit verlangen, mit Hilfe vom Staat gratis zu testen: Bionext habe im Mai 40 neue Mitarbeiter/innen eingestellt, um seine Labor-Aktivität über den Sommer abzusichern. Dass die Massentests des LST ab 20. Juni gratis für alle angeboten wurden, habe Bionext 80 Prozent seiner Analyse-Aktivität gekostet, bei gleichbleibend hohen Personalausgaben (d’Land, 17.9.2021).

Welcher Teilnehmer an dem Konsortium wie viel Geld vom Staat für seine Leistungen am genau am Large-scale testing erhielt, ist bis heute unbekannt. Bekannt ist nur, dass die Laboratoires Réunis allein im vergangenen Jahr ihren Nettoumsatz auf 100,7 Millionen Euro gegenüber 2019 mehr als verdreifachten und der Nettogewinn mit 15,46 Millionen elf Mal höher lag als 2019 (d’Land, 9.7.2021). Alle weiteren Fragen beantworteten sowohl im vergangenen als auch in diesem Jahr das Gesundheitsministerium wie das Junglinster Laborunternehmen mit: «Das ist vertraulich.»

Peter Feist
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