Ein Reiter flieht mit seinem Pferd aus einer brennenden Burg. Bei der Überquerung des Wassergrabens stürzt er und bricht sich den Hals – so beginnt das Gespenster Dasein des Reiters in Marc Angels De Schëmmelreider vun Useldeng von 2016, ein Band das von der Gemeinde Useldingen beauftragt wurde. Den fatalen Unfall des Reiters stellt der Comiczeichner in einem vereinfachten Malstil dar, wie man es von mittelalterlichen Zeichnungen kennt, ein Kontrast zu den sonst sehr detaillierten und modernen Zeichnungen des Bandes.
„Ein Comicbuch ist eine unglaublich langwierige Arbeit. Da sitzt man echt lange dabei und manchmal muss man sich halt selbst einen Spaß draus machen“, so Marc Angel. Die Darstellung des fatalen Unglücks ist ein Stilwechsel, mit dem der Künstler seinen Lesern, aber auch sich selbst, Abwechslung bietet. Unterhaltsame Exkurse in die Welt der Luxemburger Comics, die sich mit Geschichte befassten, bot Mitte Februar das Centre National de Littérature in Mersch während der Diskussionsrunde „Gezeechent Geschicht(en).“ Mit dabei waren die Künstler Marc Angel und Antoine Grimée und der Historiker Benoît Majerus. Moderiert wurde der Abend von Claude Kremer des CNL.
Wie auch in Marc Angels Band über den verunglückten Schimmelreiter zieht sich das Thema Mittelalter durch die Comicgeschichte Luxemburgs. Superjhemp, der einzigartige nationale Superheld, zieht 1989 im Band „Dynamit fir d‘Dynastie“ auf Zeitreise durch die Geschichte des Landes. Das Duo Lucien Czuga und Roger Leiner erzählen von nationalen Figuren und Mythen, die wohl so bekannt wie Superjhemp selbst sind: Graf Siegfried (Siggy), Johann von Luxemburg (Jang de Blannen) und Melusina. Letztere ist von Roger Leiner als halbnacktes Pinup-Girl porträtiert, eine Darstellungsweise, die den Comicstreifen heute recht veraltet erscheinen lässt.
Woher kommt die Faszination für die dunkle Epoche? Dank den Burgen und Festungsmauern Luxemburgs ist diese Periode noch immer ein wirksamer Topos im Geschichtenerzählen, erklärt Benoît Majerus. Es ist eine Zeit, die für Erzähler hierzulande keine politischen Risiken darstellt. „Das Mittelalter ist eine Periode, die in kollektiver Erinnerung keine Spannungen produziert,“ erklärt Majerus, der als Professor für Europäische Geschichte an der Uni Luxemburg tätig ist. Schlecht sitzende Ritterausrüstungen und Kanonenkugel, die ihr Ziel verfehlen, bieten außerdem geeignetes Material für Slapstick-Witze. „Eine humoristische Geschichte über den Zweiten Weltkrieg? Das ist schon komplizierter“, sagt Majerus.
Auch in frühen Comics wurde das Mittelalter eher zahm dargestellt. Lottie, e Grofekand von Nico Schneider (1947) ist ein minimalistisch gezeichneter Comic über das Burgleben. Die humorvolle Serie „Ritter mit Furcht ohne Tadel“ von Gab Weis ist eine „Geschichte aus der guten alten Zeit“, in der von Pest und Hexenjagd nicht die Rede ist. Diese Streifen, die in den 50er-Jahren in der Zeitschrift Revue veröffentlicht wurden, kann man auf Eluxemburgensia nachlesen. Zwischen akademischer Geschichtsschreibung und populären Interpretationen aus Romanen, Filmen und Comics gibt es natürlich einen großen Unterschied. Die Begeisterung für geschichtliche Fiktion kommt der Wissenschaft jedoch zugute, findet Benoît Majerus. „Die Tatsache, dass wir dauernd neue Studenten hinzubekommen, hat damit zu tun, dass Geschichte und Vergangenheit noch immer super präsent in unserem Alltag sind“, sagt der Historiker.
Mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigten sich Zeichner in Luxemburg nur wenig. Meistens handelte es sich um vereinfachte Erzählungen, die sich an junge Leser richteten. Pierre Bergem zum Beispiel schrieb Geschichten über heldenhafte Soldaten. In seinem Comic De lânge Wé von 1946 schließt sich ein Luxemburger Soldat der amerikanischen Armee an. „Du kanns elo op eiser Seit fir d’Freihet vun denger Hémecht kämpfen“, so begrüßt der U.S. Captain den Luxemburger.
Das Medium diente in den 90-ern dazu, Kinder und Jugendliche vor den Gefahren des Drogenkonsums zu warnen. Jimmy heißt das etwas schwerfällige luxemburgische Äquivalent von Lucien Czuga und Roger Leiner, in der ein Teenager 1992 scheinbar unbedingt ungute Freunde sucht: „Ech géif gär an är Clique kommen!“, kündigt er vor einer Gruppe Rüpel in einem maroden Haus an. Eine zerrissene Tapete deutet auf Chaos und Gefahr hin. Leiners Stil ist auch in diesem Werk unverkennbar, doch Slapstick gibt es dieses Mal keinen.
Die Marktlandschaft für Comics ist in Luxemburg sehr klein, und Künstler sind oft auf öffentliche Institutionen oder private Auftraggeber angewiesen, um ihre Projekte zu finanzieren. Dabei kann es zu Differenzen kommen. Auftraggeber wollen natürlich mit einem Comic eine Botschaft vermitteln, und Autoren ist es wichtig, mit kreativem Freiraum eine Geschichte zu erzählen. „Es ist eine Herausforderung, dieses Gleichgewicht zu finden“, sagt Antoine Grimée, der sich an seinen Comic De Coyote am Schofspelz erinnert, den er 2007 für Fairtrade erstellte.
Enthusiastischer klingt er, als er über seine Arbeit mit dem Luxemburger Wort spricht. Die Zeitung beauftragte biografische Erzählungen, die er über renommierte Persönlichkeiten erstellte. Sein Comic über den niederländischen Künstler Piet Mondrian spielt mit Akzenten in rot, blau und gelb auf die bekanntesten Werke des Malers an. Wie ein Szenario eines expressionistischen Films wirkt sein Streifen über Fred Junck, der luxemburgische Cinephil und Gründer der hauptstädtischen Cinémathèque. Diese Arbeit „war eine Riesenchance für mich, mein Talent zu zeigen und auch veröffentlicht zu werden“, so Grimée. „Und das in kompletter kreativer Freiheit! Das war einfach super.“
Dank Luxemburgs Comic-Künstlern wurde die Lokalgeschichte in den letzten Jahrzehnten recht bunt. Andy Genen und John Rech zum Beispiel illustrierten einen zweiteiligen Comic über die Stadt Dudelange (Gefaangen an der Diddlenger Geschicht 1 und 2), während die sieben Autoren und Autorinnen für die Gemeinde Mondorf lokale Geschichten in dem Sammelband Mondorf-Les-Bulles (2022) erzählten. Hier zeigt Claude Kremer zwei Panels von Marion Denglers “Tora”, leider die einzige Künstlerin, deren Werk am Abend erwähnt wird.
Nach dem Eintauchen in gezeichnete Vergangenheiten, fragt Claude Kremer Historiker und Künstler, was sie sich für die Zukunft des Luxemburger Comics erhofften. „Ich würde gerne Reportagen lesen über gesellschaftliche Themen in Luxemburg“, sagt Benoît Majerus. Antoine Grimée würde „etwas Explosives über rein luxemburgische Themen“ interessant finden. Man kann nur hoffen, dass sich die Finanzierung des Sektors ein wenig diversifiziert, damit Leser auch bald solche Werke in den Händen halten können.