Labor-Grundschule

Auf der Bremse

d'Lëtzebuerger Land vom 15.02.2007

Luxemburg bekommt eine Laborschule. Gemeinsam mit der Universität sollen, ähnlich wie in Deutschland und Frankreich, Primärschüler unter wissenschaftlicher Anleitung den Unterricht von morgen erproben. Eine gute Nachricht, schließlich soll besonderes Augenmerk auf die Alphabetisierung und die Differenzierung gelegt werden – zwei Knackpunkte im mehrsprachigen luxemburgischen Schulsystem.

Die Lehrergewerkschaften halten sich mit Reaktionen bisher auffällig zurück. Im kleinen Kreis, bei der Einweihung neuer Büroräume auf dem Kirchberg Mitte Januar, hatte der SEW den Kollegen der geplanten Schule Glück gewünscht – um danach ironisch von der „ersten staatlichen Privatschule“ zu sprechen. Dass die OGBL-nahe Lehrergewerkschaft sich mit dem Projekt nicht recht anfreunden mag, liegt nicht nur daran, dass ein von ihnen etwa zeitgleich vorgeschlagenes Konzept für eine Ganztagsschule bei der Stadt Luxemburg keine Begeisterung fand. Die Haltung reiht sich ein in eine Reformskepsis, die schon länger andauert.

Ob Proci (Projet pilote cycle inférieur), Neie Lycée oder Promotionskriterien – die Liste der Reformprojekte, denen die Lehrervertretungen – Apess, Feduse und SEW – kritisch bis ablehnend gegenüber stehen, ist lang. Dass sich Gewerkschaften wehren, wenn es um Jobprofil und Überstunden geht, wie es bei den Verhandlungen um die Lehrerarbeitszeit vergangenes Jahr der Fall war, ist ihr gutes Recht. Bildungspolitische Vorhaben kritisch zu prüfen ebenfalls. Klassischerweise waren es oft Vertreter der Feduse und Apess, die eher den Status quo betonten, während das SEW die Debatte mit mutigen Forderungen nach Strukturreformen prägte. Radikalpostulate, wie die Einführung einer Gesamtschule, sind in der Zwischenzeit aber weitestgehend verschwunden. Man werde sich weiterhin „für die Armen und die Schwachen einsetzen“, versprach SEW-Präsidentin Monique Adam jüngst. Aber selbst das ist nicht mehr sicher.

Mit dem Argument, „neoliberalen“ Trends vorbeugen zu wollen, sperren sich zunehmend auch linke Gewerkschafter gegen Änderungspläne des LSAP-Unterrichtsministeriums, selbst wenn diese auf mehr Bildungsgerechtigkeit abzielen. An der Reform der Berufsausbildung passt dem SEW die verstärkte Ausrichtung auf die praktische Ausbildung nicht. Der Technikerabschluss werde abgewertet; einige brandmarken den Entwurf als Ausverkauf schulischer Ideale gegenüber dem Patronat. Die Ablehnung reiner Wirtschaftsinteressen in Ehren – angesichts einer  Jugendarbeitslosigkeit von rund 20 Prozent und einer der höchsten Schulabbrecherquoten in Europa klingt der Einwand fast zynisch. Hier bahnt sich an, was Soziologen schönfärberisch als Prekariat bezeichnen.

Von jeher war die erste Aufgabe der Schule, die Jugendlichen auf ihr Leben in der Gesellschaft vorzubereiten. Das ist heute nicht anders. Was nützen hehre Bildungsideale, wenn man später ohne Abschluss und ohne Arbeit bleibt? Dass das luxemburgische Schulsystem bestehende soziale Unterschiede verschärft, wird trotz eindeutiger Fakten noch immer ignoriert. Zwei Drittel aller Beamtenkinder besuchen das Gymnasium. Während fast 85 Prozent von ihnen die Schule beenden, ohne sitzen zu bleiben, fällt jedes dritte Facharbeiterkind durch und muss eine Klasse wiederholen. Kinder von ungelernten Arbeitern landen meist im technischen Sekundarunterricht oder im Régime préparatoire. Die dringlichste Aufgabe muss daher lauten, ihnen überhaupt zu einem Abschluss zu verhelfen. Das geplante Modularsystem würde ihnen darüber hinaus erlauben, nach bestandenem Examen zu studieren. Die soziale Durchlässigkeit des mehrgliedrigen Systems würde sich demnach nach oben erhöhen.

Aber vielleicht geht es den Nörglern und Bremsern ja gar nicht darum: Die Reformen verlangen den Lehrern gewiss viel ab. Erstmals sieht sich der sonst recht autonom agierende Lehrer Bestrebungen gegenüber, die von ihm Rechenschaft über seine Arbeit verlangen. Teamarbeit, offener Unterricht, neue Benotung, Feedback bedeuten ein erhebliches Maß an Selbstreflexion und Kritikfähigkeit. Für viele wäre das Neuland. Dass sich die Reise ins Ungewisse lohnen kann, beweisen gerade Forschungsschulen: Beim Pisa-Test schnitten die Schüler der Labor-Gesamtschule Bielefeld landesweit am besten ab, die Lernschwachen erzielten durchweg bessere Leistungen als ihre Klassenkameraden an den Regelschulen. Und siehe da: Die Lehrer sind, trotz erhöhter Präsenzzeit und fehlender Noten, hoch zufrieden.

Ines Kurschat
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