Im Rahmen seiner Nato-Verpflichtungen will Luxemburg sich auf die Bereiche Überwachung, Weltall und Cyber konzentrieren. Das hat Verteidigungsminister François Bausch bei der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal verdeutlicht

„Wir können schließlich keine Airforce aufbauen“

d'Lëtzebuerger Land vom 24.02.2023

Sonntag, 19. Februar, 14.30 Uhr. Polizisten in Sicherheitsmontur räumen die Straßensperren, die letzte Demonstration am Münchener Odeonsplatz löst sich langsam auf – iranische Flaggen, weg mit den Mullahs! Vor dem Hotel Bayrischer Hof bauen Veranstaltungstechniker die Sicherheitsschleusen ab – Metalldetektoren und Körperscanner, fast wie am Flughafen. Beobachtet werden sie dabei von einer Handvoll gutbetuchter Gäste auf dem Balkon im zweiten Stock. Sie trinken Champagner. Sekt sieht man hier keinen. Es sind vermutlich CEOs oder Diplomaten, aber eher zweite Riege. Die wichtigen Gäste – Kamala Harris, Wang Yi, Bill Gates – sind schon weg. Die 59. Münchener Sicherheitskonferenz ist vorbei.

Tags zuvor bot sich ein anderes Bild: Die Straßen waren dicht, sogar die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock musste an einer Sperre warten, während der Konvoi der US-amerikanischen Vizepräsidentin vorfuhr. Harris hielt eine Rede und beschwor den Zusammenhalt in der Nato, US-Außenminister Anthony Blinken traf sich mit dem chinesischen Chefdiplomaten Wang Yi. Mit gemischten Resultaten: Washington warnt China vor der militärischen Unterstützung Russlands, Peking nennt die Reaktion der USA auf den mutmaßlichen Spionageballon „absurd und hysterisch“ – Entspannung sieht anders aus.

Erstmals in der Geschichte kam es auch zu einem gemeinsamen Auftritt der Regierungschefs von Georgien, Aserbaidschan und Armenien, was auf eine Entspannung im Karabach-Konflikt hindeuten könnte. Die Rhetorik des aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev ließ allerdings auch andere Schlüsse zu. Er behauptete sich auf das Recht seines Staates, seine territoriale Integrität sicherzustellen. Abends hatten dann mit Garri Kasparow und Michail Chodorkowski zwei Exilrussen ihren großen Auftritt – Russia Reimagined: Visions for a Democratic Future. Die offiziellen Vertreter Russlands waren nicht zur Konferenz eingeladen. Die am Sonntag von den Demonstranten zum Weggang aufgeforderten Mullahs übrigens auch nicht.

Eine Form von Nationalismus

Eingeladen war allerdings Luxemburgs Verteidigungsminister François Bausch, der am Samstagnachmittag für ein Gespräch zur Verfügung steht – im Erdgeschoss der Hypovereinsbank, in einem schmucklosen Glaskastenbüro, direkt neben dem Bayrischen Hof. Bauschs Terminkalender quillt über, aber eine Stunde Zeit hat er sich am Mittwoch freischaufeln können. Unweigerlich stellt sich in der Sicherheitspolitik die Frage, welchen Beitrag ein kleines Land wie Luxemburg überhaupt zu leisten imstande ist. Bausch ist in der Hinsicht pragmatisch: Abgesehen von dem gemeinsamen Bataillon mit Belgien, welches Luxemburg zur Unterstützung der Nato-Bodentruppen aufzustellen gedenkt, will man sich auf drei Schwerpunkte konzentrieren: „Überwachung, Weltall, Cyber.“ Hier könne Luxemburg investieren und seine Kompetenzen ausbauen, ohne unbedingt die Manpower großer Staaten zu benötigen. „Wir können in Luxemburg schließlich keine Airforce aufbauen“, so der Verteidigungsminister.

Neben dem umstrittenen, weil teuren Luxeosys-Satelliten, der noch in diesem Jahr in eine sonnensynchrone Umlaufbahn befördert werden soll, wurde nun auch kürzlich das Gesetzesvorhaben für die sogenannten mPower-Satelliten im Regierungsrat angenommen – eine Reihe von Satelliten im mittleren Erdorbit, die eine nahtlose und gesicherte Kommunikation ermöglichen sollen – auch für militärische Zwecke. Laut Bausch plant Luxemburg in diesem Bereich eine enge Kooperation mit den USA. Die Zauberformel laute „Pooling and Sharing“, denn „es ist nicht so, dass mehr ausgegebenes Geld zu mehr Effizienz und mehr Sicherheit führt“.

Europäischer Realismus

Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato – also die kürzlich noch von Generalsekretär Stoltenberg erneuerte Forderung, jeder Staat des Bündnisses müsse zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung investieren – sieht Bausch indes weiterhin kritisch: „Wir haben auch eine Verantwortung gegenüber unserer Bevölkerung. Wir müssen zeigen, dass die Ausgaben Luxemburg auch helfen. Wir können nicht einfach dauerhaft eine Panzerbrigade auf dem Baltikum finanzieren.“ Er spüre hinsichtlich dieses Punktes „eine Form des Nationalismus“ in Europa – manche Staaten trügen ihre Verteidigungsetats stolz vor sich her, legten aber vor allem Wert darauf, die heimische Rüstungsindustrie zu bedienen und hätten keinen Blick für die spezifische Situation ihrer Verbündeten. Bausch mahnt auch zu einem gemeinsamen europäischen Vorgehen, weil die Realität dies gebiete – die USA verlagere ihren Fokus zusehends auf den Pazifik und die mögliche Konfrontation mit China. „Wenn Europa innerhalb der Nato eine starke Position haben will, dann muss Europa beweisen, dass es eine gemeinsame Verteidigungspolitik formulieren kann.“ Das könne auch zulasten nationaler Souveränitätsrechte gehen. Hier sieht der grüne Verteidigungsminister für Luxemburg eine Vermittlerrolle: „Wir stehen nicht im Verdacht, die heimische Rüstungsindustrie zu bevorzugen, denn wir haben keine.“

Ein Umstand, der dazu führt, dass Luxemburg bisweilen ungewöhnliche Wege geht. Wie die New York Times kürzlich berichtete, habe das Großherzogtum zwei Personen eingestellt, um auf dem internationalen Rüstungsmarkt Waffen für die Ukraine einzukaufen. Ein erster Deal mit einer tschechischen Firma ist dabei nach hinten losgegangen, wegen Lieferengpässen konnten nur 200 der bestellten 2 000 Raketen, ein altes, sowjetisches Muster, geliefert werden. Inzwischen hat Luxemburg 90 Millionen Euro in Rüstungsgüter investiert, um die Ukraine im Krieg gegen den russischen Angreifer zu unterstützen.

Waffen für die Ukraine – die liefert nicht nur Luxemburg. Die meisten Vertreter westlicher Staaten bei der Konferenz waren in dieser Frage unmissverständlich: Der Kampf geht weiter, die Ukraine wird unterstützt, bis Russland sich zurückzieht. Erstmals in der Geschichte der Sicherheitskonferenz gab es dann auch eine Demonstration in den Münchener Straßen, die nicht gegen, sondern für Waffenlieferungen war. Die Diskussion über mögliche Kampfflugzeuge bezeichnete Bausch indes als Geisterdebatte: „Die Ausbildung der Piloten dauert mindestens 18 Monate, die der Mechaniker zwei Jahre.“ Ein Tabu sieht er bei konventionellen Waffensystemen indes nicht – wichtigstes Kriterium für Lieferungen sei, dass sie der Ukraine erlauben, ihr Land zu verteidigen und das verlorene Territorium zurückzuerobern.

Tom Haas
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