Mit dem Zuzug von Expats steigen auch die internationalen Scheidungen hierzulande. Das hat mitunter dramatische Konsequenzen für die Kinder

Leaving on a jet plane

d'Lëtzebuerger Land vom 17.06.2022

Das Urteil fällt am 24. Februar dieses Jahres, dem Tag des russischen Einmarschs in die Ukraine. Herr K.* muss erleichtert sein, seit Monaten hatte er versucht, seine Ex-Gattin Frau S.* dazu zu bewegen, mit der gemeinsamen Tochter, die zu diesem Zeitpunkt zehn Monate alt ist, wieder nach Luxemburg zu ziehen. Seit sechs Monaten wohnen die beiden in der Ukraine, die Mutter hat dort eine Arbeit gefunden. Doch es würde unmittelbar ein Krieg drohen, argumentiert der Vater, und er wolle, dass sein Kind in der Nähe wohne. Außerdem könne er kein Homeoffice dort betreiben. Die Mutter beanstandete ihrerseits die „résidence habituelle“ in der Ukraine zu haben, heißt es im gerichtlichen Urteil. Sollte tatsächlich Krieg ausbrechen, würde sie mit dem gemeinsamen Kind natürlich zurückkehren. „Force est de constater que par l’effet de l’espace aérien ukrainien au courant de la nuit dernière, il est inconcevable qu’un droit de visite puisse s’exercer si l’enfant commun continue à avoir sa résidence en Ukraine (…), la situation géopolitique actuelle ne le permettant pas“, urteilt die Familienrichterin Alexandra Huberty am Tag der Invasion. Frau S. und die gemeinsame Tochter „sont tenues à venir vivre avec l’enfant commun au Luxembourg ou dans les environs du Luxembourg“.

Ein außerordentlicher Fall, in dem aktuelle Zeitgeschichte und Familienrecht aufeinanderprallen. Die Probleme, die entstehen, wenn zwei Drittstaatler mit Kindern sich trennen oder scheiden lassen, sind jedoch immer vielfältig. Im Jahr 2019 gab es in der EU 140 000 internationale Scheidungen. Eine Problematik, die sich durch die Internationalisierung auch in Luxemburg immer öfter stellt. 2021 wurden hierzulande 1 400 Scheidungen gesprochen, mittlerweile haben mehr als die Hälfte davon ein „élément d’extériorité“. Die Fälle, die vor Gericht landen, sind in den letzten zehn Jahren insgesamt dynamischer geworden. Was passiert mit den Kindern, wenn ein Elternteil wieder in sein Heimatland zurückziehen will? Wie lebt man globalisiertes Coparenting?

Wenn beide Elternteile in Luxemburg wohnhaft sind oder waren, und vor allem wenn das Kind hier wohnt, greift das luxemburgische Gesetz. „Jede Veränderung, die einen Einfluss auf das Leben des Kindes hat, muss von beiden Elternteilen bewilligt werden. Ein Umzug, vor allem ein internationaler, fällt da natürlich darunter“, sagt Valérie Dupong, Präsidentin der Anwaltskammer. Artikel 18 der Kinderrechtskonvention sieht vor, dass die Kinder das Recht haben, von beiden Elternteilen erzogen zu werden. Diesem Prinzip sollen die gerichtlichen Urteile gerecht werden. Die begleitende Frage lautet dabei immer, wie ein Kontakt mit beiden Eltern weiter ermöglicht werden kann. In dieser Hinsicht ist ein Umzug nach Lüttich weitaus weniger problematisch als einer nach Melbourne. „Es muss geprüft werden, wieviel der Transport kostet. Und Fragen wie: Gibt es Direktflüge?“ Ein wahrlich globalisiertes Problem also, das mit „außerordentlich viel Stress verbunden“ sei.

Allem voran soll in diesen Fällen das Kindeswohl stehen, nicht die Interessen der Eltern. „Die Entscheidung eines Umzugs darf dem Kind insgesamt nicht schaden“, sagt Valérie Dupong. Natürlich handele es sich bei jedem Urteil um eine Schadensbegrenzung. Bei kleineren Kindern sei ein Umzug dahingehend leichter, dass sie noch nicht in die Schule gingen, möglicherweise noch weniger sozial gebunden seien. In den Urteilen dieser Fälle wird allerdings wiederholt darauf hingewiesen, dass im Kleinkindalter ein „wiederholter Kontakt mit beiden Eltern nötig sei“, um überhaupt erst eine sichere Bindung aufzubauen. Und dass ständige Flugreisen sowie ein „passage de bras hebdomadaire“ viel Instabilität in das Leben eines Kleinkindes bringen. Der Wegzug eines Elternteils sei in diesem Alter dramatischer als bei Teenagern. Der verordnete „Facetime-Kontakt“, von dem ebenfalls die Rede ist, ist bei Kleinkindern nicht konstruktiv, die körperliche Präsenz für den Bindungsaufbau unabdingbar.

Seit die Schuldfrage mit der Scheidungsreform vom November 2018 außen vor ist, sind Scheidungen theoretisch schnell vom Tisch. Die emotionalen Wellen, die sie schlagen, dauern jedoch für allem für die Kinder weitaus länger. „Was man da in den Familien sieht, ist zum Teil haarsträubend“ sagt Sigrid Fickinger, Psychotherapeutin. Sie begleitet regelmäßig solche internationalen Fälle in ihrer Praxis. „Wenn es gar keine familiäre Unterstützung in Luxemburg gibt, muss man die Frage des ‚Wohin?‘ nach der Trennung ganz neu stellen.“ Oft werde dann wieder ein Netz im Heimatland gesucht.

„Wat ass den Interêt vun der Iddi, dass et néirens esou gutt ass ewéi hei?“, fragt Alexandra Huberty, Vorsitzende Richterin von 14 Familienrichter/innen am Bezirksgericht Luxemburg. Man müsse sich zum Teil auch von der protektionistischen Idee distanzieren, das Großherzogtum sei stets der beste Ort für jedermann. „Ich erinnere mich an den Film Not without my daughter, einen Propaganda-Film, der uns in den frühen 90er-Jahren schockierte, weil die amerikanische Protagonistin mit ihrer Tochter im Iran bleiben musste und nicht ausreisen durfte.“ Heute seien es oft die Menschen, die sich damals so aufgeregt hätten, die eine Ausreise des Kindes blockierten, und das zivilisierte Luxemburg als Grund anführen: „Man muss für beide Möglichkeiten offen sein“.

Es gibt weitere Faktoren, die diese Umzüge begünstigen. Wenn etwa ein Partner in Luxemburg kaum Fuß gefasst hat, aus den geplanten zwei Jahren schnell fünf werden und das Leben nicht so aussieht, wie erhofft. Wie im Fall von Herrn F.* und Frau P.* Nach einer kurzen gemeinsamen Zeit in Luxemburg war Herr F. nach der Trennung wieder nach Spanien zurückgekehrt und beanstandete nun, den Wohnort des gemeinsamen Kindes ebenfalls nach Madrid zu verlegen, heißt es im Urteil. Alternativ solle das Kind, zu diesem Zeitpunkt 27 Monate alt, zwei Wochen im Monat in Spanien leben. Er habe sich eh die meiste Zeit in Luxemburg um das Kind gekümmert. Frau P. sehe das anders. Sie stemme sich gegen einen Umzug, der Vater „n’aurait pas cherché à s’établir au Luxembourg“, seine Rückkehr sei eine persönliche Entscheidung, die die Routine des Kindes keinesfalls beeinträchtigen dürfe. Das Kind gehe hier in den Kindergarten, obwohl der Vater sich unter der Woche hätte kümmern können, da er zu dieser Zeit arbeitslos war. Frau P. vertrat die Position, der Vater könne ihr gemeinsames Kind gerne sehen, müsse dann allerdings selbst nach Luxemburg reisen. In diesem Fall urteilte die Richterin Alexandra Huberty, die Mutter sei „parent de référence“ und der übliche Wohnort müsse Luxemburg bleiben. Es sei langfristig mit einer „Bindungsstörung“ zu rechnen, würde das Kind alle zwei Wochen hin- und hergeflogen, da es sich noch in „pleine phase d’établissement d’un lien sécurisé avec son environnement“ befinde. Da das Kind noch nicht zur Schule gehe, könne es alle zwei Monate eine Woche mit dem Vater in Spanien verbringen, und er könne das Kind nach Absprache in Luxemburg besuchen. Hinzu kämen zwei wöchentliche „Facetime-Kontakte“ mit dem Vater und ein Teil der Ferien.

„Fathers against Discrimination“ heißt eine Initiative von Männern, die sich im Kontext der Urteile der Familienrichter/innen benachteiligt fühlen. Ihr Anliegen sei es, „die Chancengleichheit der Geschlechter für beide Elternteile zu fördern, die Verletzung der Kinderrechte zu stoppen, ihr Wohlergehen zu gewährleisten und das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Ungleichheiten und elterliche Diskriminierung vor luxemburgischen Gerichten zu schärfen“, heißt es auf ihrer Homepage. Sie setzten sich für „equal shared parenting“ ein, um eine Entfremdung des Kindes vom Vater zu vermeiden. Sie bemängeln, die Urteile würden immer im Sinne der Mutter gefällt, und das fast ausschließlich von Richterinnen. „Wenn Väter sich im Zuge der ersten Lebensmonate und Lebensjahre des Kindes nicht aktiv implizieren, bei einer Trennung oder Scheidung dann aber plötzlich das 50/50 Sorgerecht beanspruchen, ist das etwas kompliziert“, erwidert Alexandra Huberty. Das Hauptproblem dieser Väter sei, dass sie nicht „parent de référence“ seien, wenn nur die Mutter Elternurlaub genommen hat. Was solle man denn dann machen, wenn das Kind 18 Monate alt sei? Dass die Diskussion um mehr Väterrechte geführt werde, sei gut, doch auch hier müsse zweimal hingeschaut werden – au cas par cas.

*Namen der Redaktion nicht bekannt; die Urteile wurden anonymisiert.

Sarah Pepin
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