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d'Lëtzebuerger Land vom 26.05.2023

Knapp zwei Wochen nach offiziellem Beginn des Gemeindewahlkampfs hat die visuelle Sättigung bereits eingesetzt. Gesättigt von den unzähligen Hohlkammerplakaten, Wësselmänner und Chevaleten, die gefühlt alle zwei Meter mit den Gesichtern von Spitzen/kandidatinnen und Stock-Fotos trotzen – ein regelrechter face overload. Vor allem in der Hauptstadt und im Speckgürtel gibt es keine Ruhepause für die Augen.

Die Wahlkampf-Slogans sind recycelt (d’Land, 19.05.2023), die meisten Gesichter Alteingesessene, die mit großen Versprechen neue Wähler/innen ansprechen wollen. Luxemburg-Stadt ist das umkämpfteste Terrain in den Gemeindewahlen, dabei hat sich mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten gar nicht erst registriert. Das ganze Spektakel bietet sich also 44 716 Wähler/innen, 32 090 Luxemburgern und 12 626 Ausländern.

Im Detail sieht es folgendermaßen aus: Nummer eins belegt die LSAP mit 1 150 aufgehängten Hohlkammerplakaten, also jenen meist doppelseitigen, die an den Laternen hängen. Die ADR hat 900 solcher Schilder aufgehängt, die DP 325, die CSV 220, die Piraten 190 und Fokus 300 Einseitige. Déi Gréng und Déi Lénk haben aus ökologischen Gründen auf Hohlkammerplakate verzichtet. (Erstere sind mit insgesamt 126 Plakaten, davon 13 großen, in der Stadt sichtbar; Letztere mit 50 Schildern und drei größeren.) Berechnet man anhand von nur dieser Art von Plakat die Wähler-Plakat-Ratio, liegt sie bei knapp 1:14, in der Realität noch weitaus niedriger. Die visuelle Sättigung ist real.

„Es ist der erste Wahlkampf von Gabriel und mir und das erste Mal als Spitzenkandidatin, aber aus Erfahrung lernt man und ich würde es persönlich bei einem eventuell nächsten Mal runterschrauben“, sagt Maxime Miltgen (LSAP). Guy Foetz (Gemeinderat für déi Lénk) findet die visuelle Offensive beeindruckend, denkt aber auch, dass die Anzahl im öffentlichen Raum eingeschränkt werden sollte; auch wenn er die Wahlplakate als legitimen Bestandteil einer Demokratie versteht. Serge Wilmes (CSV) findet: „Wir müssen uns richtige Spielregeln geben, das Ganze gesetzlich regeln“, und spricht von einer „totalen visuellen Verwirrung, die nur noch ablenkt“.

Eine gesetzliche Regelung, gar eine Kontrolle der Plakatierung gibt es tatsächlich nicht (unter die stärkere Bewachung der Partei-Präsenz in den audiovisuellen Medien durch die Alia fällt es nicht). Im Wahlkampfabkommen, das alle Parteien im Januar für die Gemeinde- und die Nationalwahlen unterzeichnet haben, wird in groben Zügen festgelegt, wie ein fairer Wahlkampf auszusehen hat. Neben dem Verbot von Social Bots und der Diffamierung von anderen Parteien wurde die Zahl an Großplakaten (mehr als 150 zu 200 Zentimeter) auf 90 limitiert (für die Nationalwahlen dürfen 120 aufgestellt werden); die Parteien haben sich dazu verpflichtet, die großen abzubauen. Das Abkommen legt auch ein Budget von 100 000 Euro für Werbezwecke fest – doch es ist lediglich eine informelle Vereinbarung. Ein Kompromiss, der von allen Parteien getroffen wurde, dessen Sinnhaftigkeit man aber ernsthaft infrage stellen kann, wenn sich am Ende eh niemand daran hält.

Bringt es den Politiker/innen also mehr Kreuzchen am Wahltag, wenn sie die Hüften zu Dëppefester und nationalen Sportevents schwingen? Man denke an die rezente Tanzeinlage von Lydie Polfer (DP), Corinne Cahen (DP) und Laurent Mosar (CSV) beim ING Marathon. Oder entscheidet sich jemand, der den Mobilitätsschöffen Patrick Goldschmidt (DP) zum 25. Mal bei seinem Stadtspaziergang sieht, dann doch plötzlich dafür, ihm seine Stimme zu geben? Mangels Forschung zu den Gemeindewahlen kann dazu wenig empirisch Belegtes gesagt werden. In Deutschland zeigte jedoch eine Studie im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung, dass sich 92 Prozent der Deutschen im letzten Bundestagswahlkampf an mindestens ein Wahlplakat erinnern; sie sind also zumindest insofern erfolgreich. Doch auch hier gilt mit Sicherheit: Weniger ist mehr.

Sarah Pepin
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