In den Nordstad-Gemeinden ist auch die Fusion Wahlkampfthema. Der Spitzenkandidat der Diekircher DP sorgt für Abwechslung

Sollen wir heiraten?

Erpeldingen an der Einsenbahn. Hier soll die Zentrale Achse Nordstad attraktiv urbanisiert werden
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 26.05.2023

Es geschah am Mittwoch vergangener Woche auf dem Diekircher Marktplatz: Radio 100,7 hatte die Spitzenkandidaten von LSAP, CSV und DP zu einer Live-Diskussion im lokalen Wahlkampf geladen. DP-Gemeinderat José Lopes Gonçalves erklärte: „Für uns ist eine Nordstad-Fusion zu fünft keine Priorität mehr.“ Sie brächte „den Bürgern keinen wirklichen Mehrwert“. Besser wäre, zunächst zu zweit oder zu dritt zu fusionieren.

Damit kam die Fusion im Gemeindewahlkampf an. In Diekirch auf jeden Fall, in Ettelbrück, Schieren, Bettendorf und Erpeldingen vermutlich auch. Zu erwarten war das. Gegenüber dem Land sagen die Bürgermeister/innen aller fünf Gemeinden, falls die Bürger/innen den Eindruck haben, das Nordstad-Projekt sei versackt, könnten sie das verstehen. Dass jemand kommt und die Gemeinde-Hochzeit, wie es sie in diesem Umfang hierzulande noch nie gab, in Frage stellt, wäre demnach nicht überraschend.

Wahlkampfthema wäre die Fusion aber auch geworden, wenn die Nordstad-Gemeinden in spe soweit gegangen wären, wie sie theoretisch hätten gehen können. Dann wäre bei ihnen die Nordstad heute in aller Munde. Vor vielleicht sechs Monaten hätte der „Fusionsprozess“ eingeleitet werden können: Die fünf Gemeinderäte hätten das in „Absichtserklärungen“ beschlossen, das Innenministerium dann einen Fusions-Gesetzentwurf zu schreiben begonnen, die Bürger/innen wären über die Einzelheiten der Fusionspläne informiert worden. Seit Ende 2018 führten die fünf Schöffenräte „Sondierungsgespräche“. Die Gemeinderäte bekamen den Entwurf eines Fusionsplans vorgelegt. Wäre er angenommen worden, wäre der derzeitige Wahlkampf auch einer vor dem Fusions-Referendum.

So vorzugehen, wurde aber verworfen. Denn der usprüngliche Plan hatte gelautet, im Sommer 2022 den Gesetzentwurf vorliegen zu haben und das Referendum abzuhalten, bei einem Ja das Fusionsgesetz vor den Gemeindewahlen zu verabschieden. Dass daraus nichts wurde, führen alle fünf Bürgermeister/innen auf Corona zurück. Auf den Arbeitsaufwand, der „unterschätzt“ worden sei, wie die Bettendorfer Bürgermeisterin Pascale Hansen sich ausdrückt. Und ein wenig auch darauf, dass „die kleinen Gemeinden nicht so schnell vorangehen wollten wie Ettelbrück und Diekirch“, wie Ettelbrücks Bürgermeister Jean-Paul Schaaf (CSV) erklärt, aber gleich hinzufügt: „Ich gebe da niemandem eine Schuld. Corona hat uns schon gelähmt.“ Weil alles länger dauerte als geplant, wurde vereinbart, mit den Absichtserklärungen zur Fusion durch die Gemeinderäte bis nach den Wahlen zu warten. Niemand wollte sich nachsagen lassen müssen, nur Monate vor dem Urnengang eine Entscheidung herbeigeführt zu haben, die an die neuen Gewählten einfach vererbt worden wäre, falls die ein politisches Problem damit hätten. Das erklären alle fünf Bürgermeister/innen offiziell.

An eben dieser Stelle setzt in Diekirch José Lopes Gonçalves an. Strategisch, sagt er, wolle er nicht das Nordstad-Projekt torpedieren. Der 37-jährige Anwalt, der seit 2011 im Gemeinderat sitzt, will „Klartext von den anderen Parteien“, die in Diekirch zur Wahl antreten. Ihnen unterstellt er, eine Fusion zu fünft eigentlich nicht zu wollen. „Ich bin fundamental davon überzeugt, dass in der aktuellen LSAP-Mehrheit in Diekirch niemand wirklich dafür ist, aber das Gegenteil erklärt, wenn die Mikros an sind.“ Die Parteizentralen von CSV und LSAP würden „das Potenzial für einen Nordstad-Bürgermeister für sich sehen“. In Diekirch selber dagegen ließen die LSAP und ihr Bürgermeister Claude Thill zur Nordstad „die Handbremse nie ganz los“. Deshalb, sagt er, sollten die anderen Parteien sich so klar wie er zu einem Fusions-Referendum äußern. Wie er das vertritt, soll es ein Referendum über die Fusion zu fünft geben, aber den Wähler/innen würde er raten, mit Nein zu stimmen.

Ob sich dahinter mehr versteckt als ein origineller Versuch, sich von den anderen zu unterscheiden, ist nicht leicht zu sagen. Dass er um einer Koalition in Diekirch willen kompromissbereit wäre, hatte Lopes Gonçalves schon auf dem Marktplatz angedeutet, als er auf die Frage, ob er eine Fusion zu fünft ganz ausschließt, entgegnete, „man soll nie nie sagen“. Und vermutlich könnte auch er sich nach den Wahlen der Linie seiner Partei unterordnen: Eric Thill, der Präsident der DP Norden, hat die Aussagen des Diekircher Spitzenkandidaten „zur Kenntnis genommen, aber das ist nicht die Position unserer Nord-Sektion“. Die sei für eine Fusion zu fünft, und als Bürgermeister der Nordstad-Majorzgemeinde Schieren ist Eric Thill es auch. „Die fünf Gemeinden müssen sich nach den Wahlen ganz schnell zusammensetzen und besprechen, wie es weitergehen soll.“

Weil der Fusionsprozess Verzug bekommen hat, ist es normal, dass da und dort wahltaktisches Kalkül sich ausdrückt. Die Rolle eines agent provocateur spielt neben Lopes Gonçalves, wie es scheint, niemand. Aber als das Wort am Dienstag die Spitzenkandidaten von zwei der drei Bürgerlisten interviewte, die in der neuen Proporzgemeinde Bettendorf antreten, sagte José Vaz do Rio von „Eng Equip fir Iech“, er habe zu der Fusion „keine Meinung“. Was erstaunlich ist, denn Vaz do Rio ist der Erste Schöffe der Gemeinde. Doch die Entscheidung über die Nordstad allein „in die Hand der Bürger beim Referendum“ legen zu wollen, kann auch eine Wahlkampfposition sein.

In Erpeldingen wiederum sorgte Bürgermeister Claude Gleis vergangene Woche für Aufmerksamkeit. Und in Ettelbrück bei Nordstad-Vorkämpfer Jean-Paul Schaaf. Gleis beschwerte sich, weil Ettelbrück die Baugenehmigung für ein Windrad in Bürden, ganz nah bei Erpelding, erteilt habe, ohne alternative Standorte in Betracht zu ziehen. Die Zusammenarbeit sei zur Nordstad ja sonst gut, sagte Gleis bei einer Pressekonferenz, aber zu dem Windrad „so schlecht, dass wir sogar fürchten, dass unsere Fusionsgespräche in Frage gestellt sind“.

Schaaf soll erbost gewesen sein, weil Gleis so schweres Geschütz auffuhr. In der Öffentlichkeit bringt er für den Erpeldinger Kollegen Verständnis auf: „Da machen Bürger sich Sorgen. Ich nehme an, Gemeinderat und Bürgermeister positionieren sich dazu.“ Wahrscheinlich ist Schaaf klar, dass es unklug wäre, die Windrad-Anrainer und vielleicht die Erpeldinger generell gerade jetzt gegen die größere Nachbargemeinde aufzubringen: Claude Gleis, dem Nordstad-strategisch große Nähe zu Schaaf nachgesagt wird und der über sich selber erklärt, „ich bin für die Nordstad, das wissen alle“, spricht im Wahlkampf ganz bewusst nicht von der Fusion, sondern vom „dritten Entwicklungspol des Landes, den man stärken muss“. Dabei „kämpfe ich für die Fusion“, doch das im Erpeldinger Wahlkampf laut zu sagen, könnte als Vorgriff auf das Referendum missverstanden werden. „Nicht alle Kandidaten sind hier für die Fusion.“ Und viele Bürger/innen würden sich Fragen stellen. Die Bemerkung zum Windrad habe deutlich machen sollen, dass die Gemeindeführung aufpasst, dass Erpeldingen von Ettelbrück und Diekirch nicht dominiert wird.

So dass die Nordstad-Fusion zu fünft bei den Wahlen in drei Wochen wohl nicht allzu sehr in Frage steht, und anschließend selbst bei einem Einzug der DP in den Diekircher Schöffenrat nicht. Die politischen Mühen drohen in der Zeit danach. Wenn Projekte definiert werden müssen, „mit denen wir die Bürger auf unsere Seite bringen“, wie der Diekircher Bürgermeister Claude Thill das sieht. Projekte, die wir, so Jean-Paul Schaaf, „als fusionierte Nordstad realisieren können, ohne Fusion dagegen nicht“. Noch sind sie nicht definiert. José Lopes Gonçalves stichelt, was den Gemeinderäten bisher an Ideen vorgelegt wurde, seien „nice to haves, aber nichts, was für die Bürger fundamental etwas ändern würde, wenn man fusioniert“.

Falls man fusioniert, und obendrein schon bald, könnte aber vielleicht schon in drei Jahren erneut gewählt werden. Fände das Referendum 2025 statt, könnte 2026 gewählt werden, findet Jean-Paul Schaaf, der stets aufs Tempo drückt. Denn die Gemeinderäte der fünf einfach zusammenzulegen, ginge nicht; mit 52 Sitzen wäre dieser Nordstad-Gemeinderat fast so groß wie die Abgeordnetenkammer.

Peter Feist
© 2023 d’Lëtzebuerger Land